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Faktum bleibt, dass sich in ganz Europa seit Jahrzehnten der Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert, und nichts deutet darauf hin, dass sich diese Entwicklung in Zukunft ändern könnte

Foto: dpa/Nietfeld
Ferienbeginn mit Stauchaos - Verkehrsdebatte ohne Ende: wie sich ein Verweigerer der Glaubenslehre "Schiene statt Straße" gegen seine Kritiker wehrt - In direkter Konfrontation mit einem Gläubigen, der die Verteidiger des Ketzers bekehren will.

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Verkehrsclub-Sprecher Wolfgang Rauh hat einen verdienstvollen Kommentar zu meinem Artikel über die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene geschrieben (22. 6.). Nicht, dass er etwas zur Sache beigetragen hätte, aber er demonstrierte, was man in umweltbewegten Kreisen unter Diskussion versteht. Meine zentrale Aussage an dieser Stelle war, dass während der letzten Jahrzehnte in allen westeuropäischen Ländern, trotz aller Gegenmaßnahmen, der Anteil der Straße am Verkehr zulasten der Bahn gewachsen ist, und zwar auch - entgegen anders lautenden Gerüchten - in der Schweiz.

Dazu informiert er uns, dass die Schweiz Maßnahmen ergriffen habe, "damit die Schiene nicht unter die Räder kommt" (Ich hätte immer gedacht, das sei ihr Zweck) und dass der öffentliche Verkehr in den letzten 20 Jahren zugenommen habe. Dort würden 67 % von der Bahn über die Alpen transportiert. Nun waren es 2003 63 %, aber 1994 noch 75 %. Wenn zu dieser Zeit in der Schweiz 67,3 % der Personenkilometer mit dem Auto zurückgelegt werden und 13,6 % mit der Bahn, vermag ich keine gewaltige Leistung des öffentlichen Verkehrs zu entdecken.

Richtig ist, dass die Schweiz in der Vergangenheit massive Maßnahmen zur Behinderung des Straßengüterverkehrs ergriffen hat. Auch sie erwiesen sich aber als vergeblich, verzögerten bestenfalls den Rückgang des Bahntransports, der sich nunmehr, wie überall in Europa, auch hier vollzieht. Die falsche Einschätzung der Realität - auch hier wurde von "Verkehrsverlagerung" fantasiert - trieb die Schweiz in den Ausbau der Alpentransversalen, der sich nun allmählich zur finanziellen Katastrophe auswächst.

So wenig also auch die Schweiz am gesamteuropäischen Trend nichts ändern konnte, so nachhaltig hat die lange Behinderung des Straßenverkehrs zugleich dazu beigetragen, dass das Land seit Jahrzehnten das Land mit der schlechtesten wirtschaftlichen Performance Westeuropas ist - was nur durch die Tatsache verschleiert wird, dass sie nach dem Krieg das reichste dieser Region war. Rauh findet, es gebe in Österreich mit 2030 km genug Autobahnen und Schnellstraßen. Woher er das nur weiß? Hat er das berechnet? Wenn ja, wie? Zwar gibt es kaum mehr jemanden, der zum Beispiel das Fehlen der Autobahnverbindung mit Bratislava nicht als gravierenden wirtschaftlichen Mangel betrachtet, aber Rauh sagt, es ist genug, und Rauh ist ein ehrenwerter Mann!

"Furor oecologicus"

Ähnliches gilt für den Investitionsaufwand. Er sagt, dafür würden heuer 1,1 Mrd. Euro aufgewandt. Setzt diesen Betrag aber mit nichts in Beziehung. Will man sich hier ein Bild machen, dann empfiehlt es sich, nicht nur die letzten Jahre zu betrachten, da die Investitionen in die Schieneninfrastruktur annähernd doppelt so hoch waren als jene in Autobahnen und Schnellstraßen, sondern auch einen Blick in die Zukunft zu werfen. Nach dem Generalverkehrsplan Österreich sollen in den nächsten 20 Jahren 29,9 Mrd. Euro in die Schieneninfrastruktur und 15 Mrd. Euro in die genannten Straßen investiert werden. Von den erbrachten Verkehrsleistungen entfielen 2000 insgesamt nur 30 % auf die Bahn und 70 % auf die Straße.

Zuletzt noch zu den sozialen Kosten des Verkehrs: Rauh stellt den Gott weiß wie berechneten Gesamtkosten von 14, 1 Mrd. € die Einnahmen aus Steuern, Abgaben und Mauten von 4,4 Mrd. € gegenüber und meint, den Rest zahle die Allgemeinheit. Das stimmt natürlich nicht, denn für die Unfallkosten kommen natürlich auch die Verkehrsteilnehmer durch Haftungs-, Kranken-, und Unfallversicherung auf. Ebenso hätten sie den Großteil der so genannten Staukosten direkt zu tragen.

Da die Investitionsaufwendungen für Autobahnen und Schnellstraßen aus den Mauten bestritten werden, verbleiben Mineralölsteuer und Normverbrauchsabgabe zur Deckung ökologischer Kosten - und werden von der EU auch als solche qualifiziert. Darüber könnte man diskutieren, aber nicht im "Furor oecologicus" - der sich auch in einer rüden Ausdrucksweise manifestiert.

Doch wie immer man die Dinge dreht und wendet: Faktum bleibt, dass sich in ganz Europa seit Jahrzehnten der Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert, und nichts deutet darauf hin, dass sich diese Entwicklung in Zukunft ändern könnte.

Aber ebenso sicher kann man von der Annahme ausgehen, dass die Regierungen auch künftig die massiven Fehlinvestitionen fortsetzen und damit die Wirtschaft schädigen werden. (Der Standard, Printausgabe, 05.07.2004)