Wir sind ein Volk", schrieb Theodor Herzl 1896 in Der Judenstaat in einer Zeit, in der die Juden lediglich als eine Religionsgemeinschaft galten. Und weiter: "Die Juden, die wollen, werden ihren Staat haben". Ein Jahr später, am Ende des von ihm organisierten ersten zionistischen Kongresses in Basel notierte er in seinem Tagebuch: "In Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Jedenfalls in fünfzig Jahren wird es jeder einsehen". 50 Jahre später rief David Ben Gurion unter einem Bild von Herzl den Staat Israel aus.

"Als er im Theater scheiterte, machte er die ganze Welt zu seiner Bühne", schrieb sein Biograf Amos Elon. "Er hatte den Mut, ein Staatsmann ohne Staat zu werden." Um nicht als Fantast zu gelten, formulierte er seinen Entwurf eines Judenstaates weitgehend sachlich. Weiterhin schildert er trocken den Verkauf des jüdischen Eigentums in Europa, den Landkauf in Palästina, den siebenstündigen Arbeitstag und die dazu passende Fahne: sieben goldene Sterne auf weißem Hintergrund.

So genau Herzls Vision bezüglich der Judenverfolgung war, so blind war er gegenüber einem möglichen Krieg mit den Einwohnern Palästinas. Falls "Andersnationale" in diesem Staat wohnen, verspricht er ihnen "ehrenvollen Schutz und die Rechtsgleichheit". Die Toleranz, so schreibt er eine Generation vor Auschwitz, haben wir in Europa gelernt.

Visionäre haben die besondere Eigenschaft, das Unsichtbare zu sehen, dafür aber nicht das Sichtbare. Als er seine Fahrt von Jaffa nach Jerusalem 1898 in seinem Tagebuch beschreibt, erwähnt er die Araber nur ein Mal, und zwar als "ein Pöbel von Bettlern, Frauen und Kindern". Weil 100 Jahre später deren Nachkommen immer noch einen blutigen Krieg mit den Nachkommen der jüdischen Einwanderer führen, ist Herzls Briefwechsel mit dem arabischen Politiker Yusuf al-Khalidi , der ein Teil der gerade erschienen Dokumentation Der Judenstaat ist, von besonderem Interesse. Der Vertreter Jerusalems im osmanischen Parlament lobte den Zionismus als schön und recht. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass das Land "von anderen als den Israeliten bewohnt wird" und daher die zionistische Idee nur mit dem Einsatz von "Kanonen und Säbeln" zu verwirklichen sei. Er bat Herzl höflich darum, "Palästina in Ruhe zu lassen". In seiner Antwort versprach Herzl, dass die Juden keineswegs "von kriegerischem Geist" seien, sondern "ein friedfertiges Element, wenn man sie in Ruhe lässt".

Der Weg des Zionismus vom Basler Kongress bis zur Genfer Initiative lässt sich in wichtigen historischen Dokumenten nachlesen, die in dieser Dokumentation enthalten sind, darunter Schriften von Herzl, Ben Gurion (Die Proklamation des Staates Israel), Amos Oz (Darstellung der Grundanschauungen der jüdischen Israelis) und Dan Bar-On (Die Mauer stoppt auch die Israelis). Zu den Kuriositäten gehören ein freundlicher Briefwechsel zwischen dem nationalistischen Großmufti von Jerusalem Haj Amin al-Husseini und Heinrich Himmler und das Plädoyer des US-Historikers Henry Judt für ein binationales Israel. Die Balfour Deklaration, die Resolution 242 des UN-Sicherheitsrat, in der Israel zum Rückzug aus den besetzten Gebieten (französische Fassung) oder aus besetzten Gebieten (englische Fassung) aufgefordert wird, fehlen ebenso wie das Oslo-Abkommen. In seinem Nachwort versucht der Verleger Ernst Piper - nicht immer fehlerfrei - die Texten einzuordnen. Piper beendet sein Nachwort immerhin trefflich mit einer Bemerkung Martin Bubers. Bereits 1928 warnte er, dass seine zionistischen Brüder nicht mit den Arabern, sondern neben ihnen lebten. "Das Nebeneinander zweier Völker auf dem gleichen Territorium muss aber, wenn es sich nicht zum Miteinander entfaltet, zum Gegeneinander ausarten." (Igal Avidan/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3./4. 7. 2004)