Als im Dezember vorigen Jahres US-Truppen im Irak den früheren irakischen Diktator aus einem Erdloch holten, reagierte die arabische Welt mit Verleugnung einerseits - die Geschichten, dass Saddam Husseins Verhaftung ja ganz anders gelaufen sei, sind Legion -, aber auch mit fast physischer Ablehnung: Das war der Mann, von dem man ernsthaft geglaubt hatte, er könne den USA standhalten, verkommen und verstört, um irgendwelche offensichtlich läppischen Verletzungen besorgt, das Maul öffnend. In den Jahren vor dem Krieg hatten die Iraker und die arabische Welt nur mehr den typischen statischen Saddam gekannt, der seine Generäle oder andere Regime-Honoratioren um sich scharte, meist sitzend, während des Kriegs dann im Stehen Reden ablesend, wobei der politische Diskurs, den man hörte, schwerstens religiös geprägt war: Allahu Akbar nach jedem dritten Satz.

Vom religiösen Delirium der 90er- Jahre direkt unter den Stiefel der Amerikaner, "Saddam Hussein wurde gestern vor laufender Kamera umgebracht, alles, wofür er gestanden ist, wurde annihiliert. Er selbst kann ruhig weiterleben, er ist nicht mehr", schrieb die Kommentatorin einen Tag nach der Verhaftung und der Ausstrahlung der Bilder. "Das war der gleiche Saddam wie vor langer, langer Zeit", sagte ein Iraker und langjähriger Saddam-Kenner zu den Bildern vom Donnerstag: die Körpersprache, die Gestik, die Intensität. So falsch wie die Einschätzung im vorigen Dezember, der Mann könne sich nur mehr umbringen (und werde das vielleicht auch tun), war die der neuen irakischen Führung jetzt, die sich Saddams Auftritt als Einstandsgeschenk machte und wahrscheinlich ganz bewusst, um ihn zu demütigen, einen Richter hinsetzte, der jünger als Saddams tote Söhne war. Das ist nach hinten losgegangen.

Für uns, aus unserer Perspektive, natürlich schauerlich die Banalität des Bösen, einer, der so viele Menschen auf dem Gewissen hat, mit gelbem Notizzettel, gefärbten Haaren, lächerlich sein Insistieren, "der Präsident des Irak" zu sein. Mit den Augen der anderen Seite betrachtet ist da aber einer, der sich gefasst hat, sich noch immer nicht unterwirft, nicht mehr wehleidig ist und aufgehört hat, religiöse Phrasen daherzureden - wobei bei aller Enthaltung von jeder religiösen Rhetorik der Vollbart so etwas wie Märtyrertum, Opfertum, Leiden signalisiert.

Ob man es will oder nicht, Saddam Hussein hat sich am Donnerstag ein Stück seiner Würde zurückgeholt, wobei natürlich die Tatsache ausschlaggebend ist, dass der Auftritt in einem von Gewalt und Chaos erschütterten Irak vonstatten ging, der bisher nur sehr punktuell Erfolge aufweisen kann. Einmal mehr zweifelt man an der politischen Klugheit derer, die das zulassen. Auf den Saddam-Prozess hatte der neue Irak so viel Hoffnung gesetzt: Die Gefahr erscheint im Moment jedoch groß, dass er von Saddam usurpiert wird. Der dann natürlich trotzdem verurteilt werden wird - ohne dass in der arabischen Welt ein überwältigender Konsens hergestellt wird, dass das zu Recht geschieht. Dabei wäre das so wichtig. (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.7.2004)