London/Rom/Madrid/Brüssel - Die Berufung des portugiesischen Ministerpräsidenten Jose Manuel Durao Barroso an die Spitze der neuen EU-Kommission ist Thema zahlreicher Kommentare in den Mittwoch-Ausgaben europäischer Tageszeitungen.

Die Londoner Wirtschaftszeitung "Financial Times"

"Nicht alle Mitglieder des Europaparlaments werden Barroso als den Retter Europas begrüßen. Die Mitte-Rechts-Fraktionen werden sich freuen, aber die Sozialisten, Grünen und Liberalen haben ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht. Und dennoch braucht Barroso breitmöglichste Unterstützung, um die schwierigen Europa-Probleme anzupacken. Der Beitritt der Türkei, die Ratifizierung der Verfassung und ein neuer Haushalt - das sind nur einige der Aufgaben. Barroso kann es sich nicht leisten, als Schoßhündchen einiger mächtiger Mitgliedstaaten betrachtet zu werden. Er macht es richtig, wenn er von Anfang an erklärt, dass er Herr in seinem eigenen Hause sein will."

"La Stampa" (Turin)

"Sich vom Etikett des "kleinsten gemeinsamen Nenners" zu befreien, das wird die erste Aufgabe sein, der sich Barroso stellen muss. Diese Definition haben seine Gegner für ihn geschaffen: Diejenigen Länder nämlich, die ihn zwar am Ende ebenfalls als künftigen Chef der europäischen Exekutive akzeptierten, zum Beginn des Konklave aber nicht im Entferntesten an Barroso dachten, der doch allen, oder fast allen, als "Herr Niemand" erschien. Kleinster gemeinsamer Nenner, das bedeutet, auf diplomatische Weise zu sagen, dass es sich hier um eine Notlösung handelt."

"La Repubblica" (Rom)

"Der Kompromiss über Barroso hat die politische Spaltung wieder gutgemacht, die sich bei der Nominierung des neuen EU-Kommissionspräsidenten zuvor gezeigt hatte: Zwischen Anhängern einer stärkeren politischen Integration Europas, die von Frankreich und Deutschland angeführt wurden und die den belgischen Regierungschefs Guy Verhofstadt unterstützten, und den Euroskeptikern und Atlantikern, die von Blair und Berlusconi geleitet werden und die hinter dem britischen Konservativen Chris Patten stehen. Und wie es so oft bei diesem Unternehmen Europa geschieht: Die Nominierung Barrosos befriedigt zwar nicht die Hoffnungen der beiden politischen Lager, es achtet aber auf perfekte Weise das Vetorecht beider Lager."

Die linksliberale "El Pais" (Madrid)

"Die Wahl von Durao Barroso gehorchte mehr der Not als der Tugend. Künftig werden zwei zentrale Institutionen der EU von Politikern von der Iberischen Halbinsel geleitet. Der Spanier Javier Solana wird nach dem Inkrafttreten der Verfassung der erste Außenminister der EU. Mit diesen Entscheidungen überwindet die EU eine Krise, die durch interne Machtkämpfe gekennzeichnet war. Der irische Ratspräsident Bertie Ahern schaffte es, dass die EU-Staaten ihren Streit über die Verfassung und den künftigen Kommissionspräsidenten beilegten. Mit diesen beiden Errungenschaften verdiente sich die irische Ratspräsidentschaft die Note 'sehr gut'".

"Le Soir" (Brüssel)

"Es ist wahr, dass es keine Überraschung mehr war: Am Wochenende hatte der Ire Bertie Ahern einen Sondergipfel am Dienstag für den Fall angekündigt, dass es einen Konsens über einen Namen gebe. Das war ganz offensichtlich der von Barroso. (...) Aber Barroso kann erst am 22. Juni sicher sein, Kommissionspräsident zu werden. Nämlich wenn die Europa-Abgeordneten die Wahl der Staats- und Regierungschefs bestätigen. Bisher hat die EVP (führende europäische Partei, der Barroso angehört) seine Nominierung begrüßt; aber die anderen Fraktionen machen saure Mienen. Die SPE (Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas) zeigt sich skeptisch; die Liberalen warten darauf, seine 'europäische Vision' kennen zu lernen; Grünen und die anderen kleinen Gruppen haben bereits angekündigt, dass sie gegen Barroso stimmen werden oder stimmen dürften." (APA/dpa)