Aus einem Kommentar des deutschen Nato-Generals Klaus Naumann für die Tageszeitung "Die Welt":

In den USA, deren Ansehen und Glaubwürdigkeit schwer beschädigt sind, sehen noch immer zu viele die Nato als eine Werkzeugkiste, aus der man sich nach Belieben bedient, ohne den Truppenstellern Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen ein Eingreifen zu geben. Diese Haltung würde das für Europa wie die USA unverzichtbare Bündnis zerstören. Man beginnt das in Washington zu begreifen, wird sich aber vor der Wahl nicht festlegen. In Europa ist man, wie leider fast immer, uneins, über die Rolle der Nato, den Irak und den Nahen Osten.

Zu den beiden Punkten, die ursprünglich das Signal von Istanbul ausmachen sollten, Irak und Naher Osten, wird eher Unverbindliches zu hören sein. Sicher, es wird so etwas wie eine Wiederholung der G-8-Gipfelerklärung geben, und es mag auch eine Absichtserklärung geben, dass die Nato bereit ist, den Irak in der Ausbildung seiner Streitkräfte zu unterstützen.

Doch reicht das aus, die USA an die Nato zu binden und die Allianz zu ihrer Rolle als das Instrument gemeinsamer Krisenbewältigung finden zu lassen? Europa dürfte übereinstimmen, dass Stabilität im Irak und im Nahen Osten ein, vielleicht das zentrale Sicherheitsinteresse Europas ist. Das bedeutet Verantwortung und schließt aus, einfach nur Nein zu sagen. Wer das täte, vor allem wenn eine frei gewählte irakische Regierung die Nato um Hilfe bäte, der würde eine alte Politik der Verantwortungslosigkeit betreiben, die zwangsläufig zu internationaler Bedeutungslosigkeit führen würde. Europa kann das nicht, weil Europa in seiner gegenwärtigen Schwäche, die zum Teil Ursache amerikanischer Alleingänge ist, und vor dem Hintergrund einer wahrlich Besorgnis erregenden instabilen internationalen Lage die USA mehr denn je braucht.

Europa darf auch nicht die Chance verstreichen lassen, die USA, die jetzt die Hilfe ihrer Verbündeten brauchen, auf den Pfad eines Internationalismus zurückzuführen, der politischen Einfluss auf den Entscheidungsprozess in Washington sichert.

Europa muss daher über seine Rolle bei der Stabilisierung seiner Peripherie und über die Rollen von Nato und EU darin nachdenken. Es sollte begreifen, dass es Sicherheit nur mit den USA, aber auch nur mit der Türkei erreichen kann.

Andererseits darf diese Diskussion aber auch die konstitutionelle Schwäche der Nato nicht verhehlen: Sie hat nur militärische Mittel, doch Sicherheit verlangt heute mehr als militärische Mittel. Ob und wie man diese Schwäche beheben kann, das bedarf der Klärung, doch zu glauben, die EU könne künftig Europas Sicherheit gewährleisten, das wäre eine fatale europäische Selbstüberschätzung. Vor allem aber verkennt ein solcher Ansatz, dass die Gefahren für Europa globaler Natur sind. Sie verlangen globale Antworten. Die aber kann ein wirtschaftlich schwächelndes und immer älter werdendes Europa in der absehbaren Zeit nicht geben... (DER STANDARD, Printausgabe, 29.6.2004)