Den Haag/London - Das Management des weltweit drittgrößten Ölkonzerns Royal Dutch/Shell hat am Montag eine Rebellion seiner Aktionäre nach dem Skandal um falsch bewertete Energiereserven mit einem blauen Auge überstanden.

60 Prozent stimmten für Entlastung

Nur eine knappe Mehrheit von 60 Prozent stimmte auf der Hauptversammlung für eine Entlastung des Vorstands für 2003. Normalerweise wird dieser Routine-Beschluss einstimmig getroffen. Die zeitgleich in London und Den Haag stattfindenden Aktionärstreffen waren um zwei Monate verschoben worden, nachdem das Unternehmen im Januar seine Schätzungen für als sicher geltende Öl- und Gasreserven um mehr als 20 Prozent reduzieren musste und damit die Finanzmärkte geschockt hatte. Drei Vorstandsmitglieder, darunter der damalige Chef Philip Watts, mussten daraufhin ihre Posten räumen. Die Investoren übten am Montag scharfe Kritik an der Führung und forderten eine radikale Vereinfachung der Firmenstruktur.

"Wir waren uns bewusst, dass es wohl eine ziemlich knappe Abstimmung geben würde", sagte Konzernchef Jeroen van der Veer bei einer Pressekonferenz. Zuvor hatte er vor den Aktionären eingeräumt: "Die vergangenen Monate waren ziemlich schrecklich." Er sprach von einer Krise, die niemals hätte passieren dürfen. "Ich bedauere dies zutiefst." Bis März war bekannt geworden, dass der damalige Konzernvorstand vor Veröffentlichung des Reserve-Skandals monatelang von den falschen Bewertungen gewusst hat. Zahlreiche Aktionärsgruppen haben Klagen eingereicht.

Ansehensverlust beklagt

Investoren beklagen den Ansehens- und Vertrauensverlust für das 170 Jahre alte Unternehmen durch den Reserve-Skandal und sehen den Grund dafür vor allem in einem Versagen des Managements. "Wir sind unzufrieden mit der Art, mit der die Gruppe geleitet wird", sagte Paul Frentrop vom Union Investmentfonds, der rund 700 Millionen Euro an Shell-Aktien verwaltet. Bei einer Entlastung ist der Vorstand nach Einschätzung des Jura-Professors Christian Schwarz von der Universität Maastricht de facto vor jeder strafrechtlichen Verfolgung für ihr Handeln im vergangenen Jahr geschützt.

Langfristig wollen die Investoren vor allem eine einfachere Firmenstruktur. Dabei ist auch eine vollständige Fusion von Royal Dutch Petroleum mit der in London ansässigen Shell Transport and Trading in der Diskussion. Der Konzern hatte Mitte Juni angekündigt, im November Ergebnisse einer Studie zur Vereinfachung der Unternehmensstruktur bekannt zu geben. Nachgedacht werde über die Zusammenlegung des britischen und des niederländischen Führungsgremiums. Auch eine Abschaffung der Vorzugsaktien von Royal Dutch werde geprüft. Royal Dutch hält derzeit 60 Prozent des Gesamtkonzerns.

Strukturänderungen gefordert

Aktionärsvertreter äußerten jedoch Unverständnis, dass der Konzern nicht bereits vor November größere strukturelle Änderungen vornehme. "Sie verlangen deutlich mehr Geduld als der Markt hat", sagte ein Vertreter des niederländischen Pensionsfonds ABP an die Adresse des Vorstands. Die Aktien des Unternehmens notierten in London und Amsterdam bis zum Abend kaum verändert. Von einem deutlichen Kurseinbruch zu Jahresanfang haben sich die Titel inzwischen wieder weitgehend erholt. (APA/Reuters)