Graz - Die Zeit respektive das Tempo in der Musik - sie sind die Themenschwerpunkte der diesjährigen styriarte in Graz. War das Tempo in früheren Zeiten vor allem vom musikalischen Atem der Aufführenden geprägt, so wich dieses subjektive Empfinden mit fortschreitender Industrialisierung immer mehr dem mechanischen Maß - bis hin zur totalen Automatisierung der Zeit in den bpm-Zählern (beats per minute) des Techno. Und genau diese Schnittstelle, dort, wo sich menschliches und mechanisches Maß treffen, thematisierten die ersten beiden styriarte-Konzerte mit Nicolaus Harnoncourt.

War das erste Konzert noch Werken der Wiener Klassik gewidmet, so konzentrierte sich Harnoncourt am zweiten Abend auf die Musik der deutschen Romantik.

Der österreichische Stardirigent hatte zu Beginn des Festivals mit der Symphonie Nr. 101 von Haydn mit dem Beinahmen Die Uhr und Beethovens achter Symphonie u. a. zwei Werke gewählt, in denen das mechanische Ticken einer Uhr bzw. des damals neuen Metronoms den Puls des normalerweise langsamen zweiten Satzes bestimmen und ihn seiner Ruhe berauben.

Harnoncourt nahm diese Aufgabe ernst und formte das Chamber Orchestra of Europe bei Haydns Andante zu einem prächtig klingenden Uhrwerk um, in dem die einzelnen Instrumentengruppen wie gut geölte Räder ineinander griffen. Das eigentlich Bemerkenswerte waren jedoch die auskomponierten Pausen; dort, wo das Orchesteruhrwerk stockte und so etwas wie eine starre Angst vor seinem maschinengleichen Gleichschritt zu versprühen schien.

Zum Abschluss dieses heftig akklamierten Eröffnungskonzertes erklang dann eine sehr energetische und sich offensichtlich von den Knebeln der Metronomisierung zu befreien versuchende Achte von Beethoven. Harnoncourt stachelte das herrlich knackig und mit messerscharfer Stimmführung musizierende Orchester zu wilden Ausbrüchen an, als wolle er zeigen, dass man Musik eigentlich nicht zähmen sollte - schon gar nicht durch bpm-Zähler.

Betrachtet man das zweite, Schumann und Schubert gewidmete Konzert unter dem Aspekt der Zeitgestaltung, so fällt vor allen die innere Unruhe in den Interpretationen ins Gewicht. Ob bei Schumanns kaum gespieltem Ouvertüre, Scherzo und Finale, von Brahms orchestrierten Schubert-Liedern oder bei der so gut wie nie zu hörenden Rosamunde-Schauspielmusik Schuberts, praktisch immer schien das innere Tempo der Musik eine Spur schneller als das ihr zugrunde liegende Zeitmaß.

Dies verlieh den Klängen ein hohes Maß an Spannung, aber auch Nervosität und innere Unruhe - und erinnerte damit frappierend an die laufende Fußball-EM. (Robert Spoula/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 6. 2004)