pedro negro
Hängt hier der Himmel tiefer, oder was? Schauen deshalb die Häuser entlang des breiten Amstelkanals aus wie hingemalt? Oben noch ein paar Wölkchen, die das zarte Blau gliedern, dann kommt die gezackte Linie aus Schnabel-, Glocken-, Hals- und Treppengiebel an den schmalen, hohen Backsteinhäusern, die durch die vielen weißgerahmten Fenster leicht und luftig wirken. Unten liegen die Hausboote mit ihren Gärtlein auf kleinen, improvisierten Terrassen fest vertäut an den hohen Kaimauern. In der Ferne überspannen einige Brücken den Kanal, und dort rücken die Häuser auch näher zusammen, stellen den Fassaden ein Gegenüber auf, machen die Gassen schmal und spielen Zentrum.

Nichts stört die Ruhe des Ensembles, das unverändert als Filmkulisse für das alte Amsterdam dienen könnte, man wandert durch die Jahrhunderte und erreicht unsere Zeit nur an einigen Statements der Moderne wie der holländischen Nationaloper, dem mächtig und grünspanleuchtend zum offenen Meer geneigten Wissenschafts- und Technologiezentrum oder dem Van-Gogh-Museum mit dem brandaktuellen Zubau von Kisho Kurokawa. Dieser Teil widmet sich den Malerkollegen des unglücklichen Genies und zeigt Werke von Manet, Monet, Gauguin und die hell hingetupften Garten- und Parkszenen von Pissarro. In der Biographie Van Goghs wurzelt die Wahl des Architekten: Niemand anderer als ein Japaner schien möglich, weil Van Gogh von japanischen Holzschnitten begeistert war. Hier wird eben nichts dem Zufall überlassen.

Wenn sich die Dämmerung mild über Amsterdam legt, dann zeichnen Lichter die Umrisse der Brückenbögen nach und werden am Wasserspiegel zu vollendeten Kreisen geschlossen. Ein paar Boote machen die Runde durch die Stadt, und sie haben gut gelaunte Bürger mit Picknickpaketen und Bier an Bord. Ein Spaziergang durch die Grachtenstraßen erlaubt den Blick durch die unverhängten Fenster in schön ausgeleuchtete, kultivierte Wohnzimmer mit Bildern und Büchern an den Wänden, so dass man erwartet, an den Türschildern die Namen Cees Nooteboom oder Harry Mulisch zu finden.

Der milde Spätsommer lädt die Amsterdamer dazu ein, sich vor die Kaffeehäuser zu setzen und dem Hin und Her der Radfahrer oben und den Booten unten zuzusehen. Dicke Sonnenblumensträuße werden unter dem Arm heimgetragen, und aus dem Kunterbunt der Restaurants, der kleinen Kneipen und Braunen Cafés steigen schon die Düfte des Abends. Im Rotlichtviertel werden die Schaufenster von leicht geschürzten Damen bezogen, und aufgeregte Touristen stolpern mit scheuen Seitenblicken durch die schmalen Gassen, weil das eben auch dazugehört zu Amsterdam. Gleich dahinter in diesem ältesten Viertel Amsterdams, wo Linden und Kastanien die schmalen Kanäle säumen, schmort kleingehacktes Huhn und Gemüse in den Woks der Chinesen, und in den Coffee Shops wird hingebungsvoll an kleinen Tütchen gesaugt. Sie entlassen Rockmusik und aromatische Düfte ins Freie. Die Leute stört das wenig. Sie sind gewöhnt an ihre unkonventionelle Stadt, an das vitale Gemisch aus Hautfarben und Kulturen, an das Nebeneinander von ruhigem Bürgertum und den schrillen Tönen der Avantgarde, der lässigen Lebensart der Jungen und dem ernsten Geschäftssinn der Etablierten. Auch der Besucher wird ohne Umschweife aufgenommen. Man sieht es ihm ja nicht an, kein Bewohner dieser Stadt zu sein. Wer kluge Wege wählt, darf sich zuhause fühlen und blendend unterhalten von Kunst und Gastronomie, Spektakel und entspanntem Schauen. (Der Standard, Printausgabe)