Wenn es tschetschenische Rebellen waren (und alles spricht dafür), die in der Nacht auf Dienstag Ziele des russischen Sicherheitsapparats in der Nachbarrepublik Inguschetien angriffen und dabei auch den dortigen Innenminister töteten, dann ist die Botschaft an Kremlchef Wladimir Putin ein weiteres Mal klar: Wir können zuschlagen, wann und wo wir wollen.

Im Zeitpunkt könnte eine subtile historische Anspielung liegen: In Russland wurde am Dienstag der 62. Jahrestag des Angriffsbeginns Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion begangen. Stalin hatte Tschetschenen und Inguschen kollektiv nach Kasachstan deportieren lassen, weil er ihnen Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht unterstellte. Als der Moskau-treue tschetschenische Präsident Ahmed Kadyrow heuer am 9. Mai in Grosny von einer Bombe getötet wurde, geschah dies ebenfalls an einem historisch bedeutsamen Tag: der Feier des Sieges über Nazideutschland.

Der Tschetschenien-Konflikt ist weder militärisch noch durch die von Putin forcierte "Regionalisierung" (freie Hand für lokale Despoten) zu lösen. Die Weigerung Moskaus, mit gemäßigteren Tschetschenenführern wie dem früheren Präsidenten Aslan Maschadow zu verhandeln, hat bei den Separatisten zu einer Radikalisierung geführt. Erst am Wochenende kündigte Maschadow aus dem Untergrund heraus große Kämpfe an.

Letztlich nützt eine unkontrollierbare Spirale der Gewalt jenen am meisten, für die der Krieg ein prächtiges Geschäft ist. Denn er erlaubt weiter die massive Abzweigung russischer Entwicklungsgelder und illegale Ölförderung in großem Maßstab. Und dabei schneiden nicht nur Rebellen, Terroristen und Moskau-treue Tschetschenen mit, sondern auch russische Militärs. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.6.2004)