Ehrenfried Kluckert
Eduard Mörike.
Sein Leben und Werk.

€ 25,60
304 Seiten
DuMont, Köln 2004

Der zweihundertste Geburtstag von Eduard Mörike findet zwar erst am 8. September statt, doch die Biografie ist schon zu haben, und das Buch von Ehrenfried Kluckert wird wohl nicht das einzige bleiben.

Mit dem schwäbischen Dichter wurden viele Generationen von Schülern traktiert. Feuerreiter, Stuttgarter Hutzelmännlein, Mozart auf der Reise nach Prag - das mag noch in den Erinnerungsfragmenten wenigstens der etwas älteren Generationen auftauchen. Mörikes Hauptwerk, der luzide, aber auch wüst verwickelte Künstlerroman Maler Nolten, wird wenige der Schule entwachsene Leser gereizt haben.

Doch eine neue Beschäftigung mit Mörike ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil er kulturgeschichtlich zwischen den Zeiten lebte und dies in seiner Dichtung auch zum Ausdruck kam. Zwischen Klassik, Biedermeier, Romantik und schlichter Heimatdichtung oszillieren die Einordnungen, und sie sind alle gleichermaßen richtig und falsch oder wenigstes unvollständig. Hinzu kam noch eine besondere psychische Konstellation, die auch den Zeitgenossen auffiel. Mörike war ein seltsam gehemmter Geist, was ihm selbst und auch den engen Freunden schmerzlich bewusst war. Zeitweise regelrecht menschenscheu, mied er das Zusammentreffen mit berühmten Kollegen, wie etwa Nikolaus Lenau oder Ludwig Tieck, die ihm durchaus wohlgesonnen waren und ihn persönlich kennen lernen wollten. Gelang einmal ein Kontakt, brach Mörike oft unvermittelt und ohne Begründung den Briefwechsel ab und entschuldigte sich dann - wie zum Beispiel bei Theodor Strom - Jahre später für sein seltsames Verhalten.

Da es keine autobiografischen Erinnerungen an die Kindheit gibt, sind die Einblicke in die frühen Prägungsphasen lückenhaft. 1804 in Ludwigsburg geboren, verlor Mörike früh seinen Vater. Da die Mutter mehrere Kinder durchbringen musste, war es ein Glücksfall, dass der Knabe von einem Onkel unter die Fittiche genommen und zum Pfarrersberuf bestimmt wurde. Es galt, ein Auskommen zu finden, und obwohl Mörike zeitlebens die Fron im Pfarrhaus als herbes Hemmnis für seine dichterische Existenz empfand, beugte er sich doch den Wünschen der Familie. Gleichzeitig entzog er sich seinen lästigen Pflichten durch ausgeprägte Hypochondrie und häufige Krankenstände. In den zahlreichen Aushilfsstellen, an denen der junge Vikar tätig wurde, hat er oft das Klima als gesundheitsschädlich empfunden und sich in der so gewonnenen Freizeit der Dichtung verschrieben. Mörike ist mit 39 Jahren krankheitshalber in Pension gegangen.

Der Tod seiner bevormundenden, rigid-moralinsauren Schwester Luise war wohl eher eine Befreiung, doch war Mörikes Familie auch sonst weit von einer heilen Sippe entfernt. Selbstmorde, zwei kriminell gewordene Brüder, die Mörike finanziell in arge Bedrängnis brachten, Schwindsucht, schließlich eine Tochter, die an Leukämie starb - von intakter Familienwelt konnte da keine Rede sein.

Mörikes allgemeine Berührungsängste äußerten sich auch in seiner Beziehung zu Frauen. Die unglücklich-leidenschaftlichen Gefühle zu einer Kellnerin mit höchst zweifelhaftem Lebenswandel sublimierte der junge Mann in dem berühmten Peregrina-Zyklus, welchen er seinerseits in den mit 27 Jahren vollendeten Maler Nolten integrierte. Distanzierung durch Poesie war eine Praxis, die Mörike auch in seiner jahrelangen Verlobungszeit verfolgte: Schließlich gab die Pfarrerstochter, mit der er so lange verbunden war, auf; sie muss sich wie ein Vehikel zur Beförderung der dichterischen Imagination vorgekommen sein.

Es gehört zu den scheinbaren Widersprüchen, dass der Dichter, der geografisch nie über einen sehr begrenzten Raum hinausgekommen ist und vorzugsweise die allernächste Heimat bedichtete, durchaus nicht eng dachte. Er gehörte zu den Sympathisanten der Revolution und war über das Scheitern der revolutionären Bemühungen enttäuscht. (Dass die rote Mütze des Feuerreiters eine Jakobinermütze gewesen sein könnte, hat einem in der Schule natürlich keiner gesagt). Mörike hatte keine Bedenken, sein Pfarrhaus als Liebesnest einem in Scheidung befindlichem "ehebrecherischen" Paar zur Verfügung zu stellen, und schließlich heiratete der protestantische Pfarrer gar eine katholische Frau, die von ihrem Glauben nicht abließ. Aber da war er schon Lehrer in einer Stuttgarter Mädchenschule und hatte endlich einen "weltlichen" Beruf.

Die Nachwelt hat den 1875 verstorbenen Dichter sehr unterschiedlich und meistens einseitig beurteilt. Die folgende jüngere, "politische" Dichtergeneration empfand Mörike als banalen Idylliker, übersah aber, wie gekonnt der hohe Ton der Idylle durch Ironie und Humor gebrochen wird und dass Mörike keineswegs unpolitisch war.

So wird sich weiterhin jeder eine bevorzugte Facette dieser Dichtung aussuchen: stimmungsvolle, bis ins Detail gehende Naturbeobachtung, das Psychogramm des Künstlers schlechthin im Maler Nolten, Kunstmärchen, die sich anhören, als wären sie schon viele Jahre im Volke erzählt worden, oder einfach gemütvolle Heimatdichtung

Der Biograf Ehrenfried Kluckert, vormals Professor in Gießen, versucht, Mörike nicht in ein Schema zu pressen. Das "Pfarrhausleben mit integrierter Poeterei" schildert er unter weit gehendem Verzicht auf allzu heftige germanistische Interpretationen, was dem nicht fachspezifischen Leser entgegenkommen mag. Sprachlich hätte das Lektorat mehr eingreifen und den Autor vor manch unfreiwilliger Komik und Betulichkeit bewahren müssen.

Eine Zeittafel wäre nützlich für schnelles Nachschlagen gewesen, wird aber teilweise durch die Kapitelüberschriften ersetzt. Für Laien gut konsumierbar ist der kurze Überblick über die Forschung. (DER STANDARD, Printausgabe vom 19./20.6.2004)