Ein Chef mit plötzlichen Launen und seltsamen Vorlieben: "Secretary" Maggie Gyllenhaal findet in Anwalt James Spader ihren Meister

Foto: Polyfilm
Wien - Alle Sekretärinnen sind unglücklich in ihren Chef verliebt. Dieses doch etwas abgedroschene Klischee macht sich Steven Shainbergs Romantic Comedy Secretary zu Eigen, um es unter ungewöhnlichen Umständen zu subvertieren. Wenn Lee (Maggie Gyllenhaal) bereits in der ersten Einstellung an einer Schiene gefesselt ihrem Arbeitgeber den Kaffee serviert, dabei jedoch einen souveränen Eindruck macht, dann ist die besondere Chemie dieser Beziehung schön umrissen.

Nun mag man behaupten, dass Arbeitsverhältnissen prinzipiell eine sadomasochistische Komponente anhaftet. Im Spielfilm tritt sie jedoch selten in Erscheinung. Edward Norton verprügelte sich in Fight Club noch selbst und degradierte damit seinen Chef zum passiven Zuschauer. In Secretary läuft das Zusammenspiel weitaus symbiotischer ab: Findet Lee Gefallen an der Bestrafung ihrer kleinen Verfehlungen, ist es E. Edward Grey (James Spader), ihr überpedantischer Boss, der sie mit Wonne exekutiert.

Shainberg beginnt seinen Film als Suburbia-Groteske im Stile von Todd Solondz (Happiness). Die gerade aus psychiatrischer Behandlung entlassene Lee kehrt zurück in ihre dysfunktionale Familie, und es dauert nicht lange, bis wir ihr Geheimnis erfahren: Mit in einer kleinen Kiste aufbewahrten Folterinstrumenten fügt sie sich kleine Blessuren zu. Davor kann sie auch ihre überprotektive Mutter (Lesley Ann Warren) nicht bewahren.

Secretary ist in diesen Szenen ein wenig zu eindeutig in seiner Beschreibung eines neurotischen Vorstadtmilieus. Doch das Zentrum verschiebt sich ohnehin auf die Arbeit, in Greys Kanzlei, die für Lee emanzipatorisches Potenzial birgt. "Secretary wanted" zeigt ein Schild davor an und kündet von übermäßiger Fluktuation, aber die tapezierten Innenräume voller anachronistischer Bürogeräte und Orchideen entpuppen sich als fantastische Gegenwelt.

"I like dull work.": Lee überrascht Grey damit, dass ihr nichts zu langweilig und keine Demütigung genug ist. In der Folge entspinnt sich zwischen den beiden ein Wettkampf, in dem die Erotik im Detail steckt. Selten wird etwas ausdrücklich ausgesprochen. Aber verstohlene Blicke und kleine Ticks verraten die Spannung, die sich kontinuierlich verstärkt, bis sie sich beim Spanking auf dem Bürotisch endlich entlädt.

Secretary erzählt von diesem Liebesglück mit respektvoller Ironie. Er stellt nicht die Perversion zur Schau, sondern vermittelt sie als Ausdruck, den sie auf den Gesichtern bewirkt - und verkehrt dabei schon mal die klassische Rollenverteilung. Vor allem aber zeigt er mit Gyllenhaal und Spader zwei Schauspieler, die sich ihren Rollen wunderbar lustvoll - unterwerfen. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.6.2004)