Im Sommer tummeln sich im alten Zentrum von Tavira täglich Hunderte von Besuchern. Jetzt sind die Straßencafés leer. Ein Brunnen umgrenzt den schmiedeeisern verzierten Pavillon. Weiß schimmernde Häuser betrachten sich im glattgebügelten Wasser des Flusses. Burg und Kirche schlummern vor sich hin. Aus Rundziegeldächern ragen Kamine im arabischen und afrikanischen Stil. An der Ecke verkauft der bucklige Henrico "Castanhas assadas", geröstete Kastanien, und hüllt die ganze Straße in einen süßlichen Dunst. Alte Männer mit grauen Oberlippenbärten und Gehstöcken trinken ihr erstes Bier, rauchen, diskutieren in kleinen Gruppen auf der Praça. "Das sind wir, die Algarvios", erklärt Dona Maria mit einer ausschweifenden Handbewegung. "Drei Monate im Jahr leben wir noch fast so wie vor dem großen Touristenansturm."
"Vorher" - das ist nun bald 25 Jahre her. Und nur die Älteren können sich noch an die Zeit erinnern, als Fischer noch fischen gingen, Bauern noch ihr Land bestellten und man seine Nachbarn und deren Familiengeschichte noch bis zurück in Urgroßvaters Zeiten kannte. "Vorher" - das ist vorbei. Südlich der Nationalstraße 125, welche die Algarve-Provinz in Küste und Hinterland teilt, ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Als die Nelkenrevolution 1974 die fast 50 Jahre lange Gewaltherrschaft Salazars in Portugal beendete - er betrachtete Hotels als "Brutstätten der Unmoral" - mutierte die Algarve zur Großbaustelle. Innerhalb von wenigen Jahren verzehnfachte sich die Zahl der Besucherbetten. Fischerdörfer verschwanden unter Wohnsilos. Naturschutzgebiete fielen dem "Ferienparadies" aus dem Betonmischer zum Opfer.
Weiter östlich von Silves, an der Abzweigung der N 125 nach Montes de Cima, beginnt eine der schönsten Strecken im Hinterland der Algarve. Die schmale Landstraße führt über die Dörfer Poio, Casais und Monchique hinauf in die Serra da Monchique, jene Bergkette, welche die Algarve von der nördlich gelegenen Provinz Alentejo trennt. Hier beschränkt sich der Tourismus während der Saison vor allem auf vorüber fahrende Busse. Jetzt kommen kaum Besucher in die Täler. Das macht den besonderen Reiz dieser Gegend aus. In den "hängenden Gärten" an den steilen Talwänden werden Orangen, Zitronen und verschiedene Gemüsesorten angebaut. Die Dorfkneipen hier sind für ihren Medronho berühmt, einen hochprozentigen Branntwein aus den Früchten des Erdbeerbaums. An der Baumgrenze bleiben die Eukalyptuswälder, Olivenbäume und Korkeichen zurück.
Die Landschaft wird zunehmend felsig. Die Straße führt jetzt durch unbewohnte, karge Macchia und endet auf dem Gipfel des Foía, dem höchsten und aussichtsreichsten Punkt der Algarve. Während die Serra im Norden in die sanften Hügellandschaften des Alentejo ausläuft, liegt dem Foía auf der Seeseite die gesamte Küste zu Füßen. Im Westen reicht der Blick bis nach Lagos, wo die Felsenküste beginnt, welche die Algarve berühmt gemacht hat: Die Ponta da Piedade ist eine atemberaubende Naturkulisse. Felstürme ragen senkrecht aus dem Wasser. Brecher donnern dagegen. Die Erde vibriert, als würde ein Schnellzug vorbeifahren. Regenbogen spannen sich durch die Gischt, die der Wind als feinen Wasserstaub zu den Aussichtspunkten heraufträgt. Dahinter zieht sich die Felsenküste nach Westen wie der Rand eines gewaltigen Steinbruchs. Die winzigen Sandstrände zwischen den Klippen gehören im Winter einigen wenigen Wellenreitern.