Das nächtliche Valletta

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Noch heute erinnert manches auf Malta daran, daß hier der Apostel Paulus auf seiner Überführung nach Rom, wo er vor den Kaiser gestellt werden sollte, Schiffbruch erlitt. Auch der Ort ist überliefert, die Bucht von St.Paul’s (San Pawl il-Bahar) mit ihren vorgelagerten kleinen, nackten Felseninseln im Nordwesten der Insel.

Weit über eine Million Touristen kommen jährlich nach Malta, zwei Millionen sollen es nach Vorgabe der Labour-Regierung bis 2020 sein. Ob das der Insel gut tut, ist eine andere Frage. Sonnenklar, daß sie was anderes suchen als Badeurlaub: Kultur und Geschichte.

Weniger gut steht es nämlich mit dem, was sonnenhungrige Touristen hier wohl am ehesten erwarten: Strände zum Baden. Die Golden Bay etwa, die unsere Führerin Doreen als Highlight ankündigt, hat unsere freudigen Erwartungen arg enttäuscht. Nur ein kurzes Stück Sandstrand, und der ist schmutziger als anderswo die Polizei erlaubt. Auch der als Attraktion angepriesene Inland-Sea auf der kleineren, grüneren, dünner besiedelten Schwesterinsel Gozo verdient diese Bezeichnung eher im negativen Sinn. Die meisten Felsstrände, die zum Baden einladen, liegen überdies in unmittelbarer Nähe der stark befahrenen Küstenstraßen – nichts für ruhebedürftige Besucher.

Die restlichen landschaftlichen Besonderheiten sind rasch aufgezählt: Die Blaue Grotte bei Wied iz-Zurrieq auf Malta – dem „look here“ des Bootsführers ist unbedingt Folge zu leisten – sowie die Tauchgebiete entlang der pittoresken Felsenküsten von Gozo, die mit zu den besten im Mittelmeer zählen. Das Blue Hole bei Dwejra ist jedenfalls Pflicht: Durch einen Kamin von vielleicht 15m Durchmesser taucht man ab, und in sieben, acht Meter Tiefe öffnet sich das Hole majestätisch zum Meer Richtung Riff, das steil bis auf etwa 40m abfällt. Die Sicht unter Wasser ist exzellent und das Licht bei Sonne einfach umwerfend.

Malta – ein Land der Gegensätze. Seine Identität ist eine multikulturelle. Das beginnt bei der Sprache – eine Mischung aus semitischen, italienischen und englischen Elementen (Englisch spricht hier jeder), setzt sich in arabischen Städtenamen, lateinischer Schrift und englischem Linksverkehr fort und endet mit der Küche: Hier dominiert italienischer Einfluß, Britannien spielt kaum eine Rolle. Was nicht weiter schade ist.

Mit mehr als 360.000 Einwohnern zählt der 1964 in die Unabhängigkeit entlassene Inselstaat – ehemals Kronkolonie Ihrer Majestät, der Queen – zu den dichtest bevölkerten Ländern Europas, 40 Prozent der 316 km² großen Republik (das entspricht etwa der Fläche von München) sind verbaut. Speziell die Hauptstadt Valetta, die in ihrem Erscheinungsbild fast an Jerusalem erinnert, verschmolz mit den Nachbarstädten zu einer einzigen Großregion.

Ja, die Geschichte. Sie begegnet einem hier auf Schritt und Tritt. Vor allem das achtspitzige Malteserkreuz ist allgegenwärtig, und das hat seinen Grund. 1522 von den Türken aus Rhodos verjagt, machten die Ordensritter Malta zu ihrem Zentrum, belehnt von Kaiser KarlV.; eine nicht nur geo-, sondern – sozusagen – auch theostrategische Entscheidung: Wie die isolierte Lage im Mittelmeer zum Schutz dienen sollte, sollte auch der große Heidenapostel Paulus seine Hand über das Eiland legen. Das hat im Fall der Türken verhältnismäßig gut funktioniert – trotz massiver Belagerungen im 16.Jh. hielten die Ritter stand –, im Falle der konfessionsbrüderlichen Franzosen aber nicht mehr: 1798 bringt Napoleon die Revolution nach Malta, der letzte Großmeister, Ferdinand von Hompesch, kapituliert kampflos vor der Ägyptenflotte des Korsen.

Schon zwei Jahre später läßt Lord Nelson Malta durch seine Truppen besetzen, und nach Waterloo fällt die Insel endgültig an Großbritannien. Für das Königreich spielt sie eine wichtige strategische Rolle, im 2.Weltkrieg ist sie gar kriegsentscheidend für die Afrikafront: Rommel bezieht seinen Nachschub übers Meer, und anders als bei Kreta gibt es in Malta keine Luftlandeoperation, um die Versorgung der Truppen zu sichern. Resultat: Ein Großteil der italienischen Schiffe wird versenkt, Rommel tritt vor El Alamein den Rückzug an. Die Angriffe der deutschen Luftwaffe richten zwar großen Schaden an, zwingen die Verteidiger aber nicht in die Knie.

Die Insel gleicht noch heute einer Festung. Auch wenn das neutrale Malta eine friedliche Nation ist – wen (außer Touristen) sollten die Malteser schon bedrohen –, so findet sie doch an ihrem militärischen Erbe Gefallen. Vor jeder Kirche stehen mindestens _einige Kanonen, und vor Freilichtmuseen wie der Rinella Battery bei Kalkara paradieren Komparsen in britischen Uniformen vor einem Monster von Geschütz, das auf die offene See gerichtet ist.

Kulturell war Malta schon früh bedeutsam: Geheimnisvolle Megalith-Architekten haben eindrucksvolle Spuren hinterlassen. Mit Tempelanlagen (Tarxien auf Malta, Ggantija auf Gozo), die älter sind als die Pyramiden von Gizeh. Schon in Antike und Mittelalter lösten sich die „Besitzer“ in rascher Folge ab: Auf Phönizer und Karthager folgten Griechen und Römer, auf Araber die Normannen.

Doch zurück zu Valetta. Das barocke Malergenie Michelangelo da Caravaggio, im „Zivilberuf“ Streithammel erster Güte, war auf der Flucht vor der Gerichtsbarkeit – er hatte 1607 bei einer Auseinandersetzung während eines Ballspiels seinen Partner erschlagen – nach Malta gekommen. Der Großmeister Alof de Wignacourt gewährte ihm Asyl, und Caravaggio nutzte die Zeit für mehrere Gemälde, deren zweie sich noch heute in Valetta befinden. Eines davon ist die überaus drastische „Enthauptung Johannes des Täufers“ (1608) im Museum der St.John’s Co-Cathedral.

Die Kathedrale selbst – außen schlicht, innen reich geschmückt und mit Deckenfresken von Mattia Preti versehen – ist ein Juwel barocker Baukunst, und Barock ist auch der dominierende Stil auf der Insel. Das erklärt sich aus dem Umstand, daß Erdbeben und Türkenbelagerungen den Großteil früherer Architektur vernichtet haben. Sehenswert ist in Valetta auch der Großmeisterpalast und das entzückende, 1731 erbaute Manoel-Theater – eines der ältesten noch bespielten Theater Euro_pas. Darüber hinaus laden Straßencafés zum Verweilen, und auf den Plätzen werden historische Umzüge veranstaltet – Spektakel muß sein. Als obligat empfehlen wir eine Hafenrundfahrt.

Unbedingt sehenswert ist auch die seit punischer Zeit besiedelte alte Hauptstadt im Zentrum der Insel, Mdina. Das ist arabisch, mit dem arabischen Medina sprachverwandt und steht schlicht für „Stadt“. Das Erdbeben von 1693 zerstörte viele der mittelalterlichen Gebäude. Daraufhin plante der Großmeister de Vilhena ab 1724 einen vollständigen Neubau, realisierte aber nur ein Stadttor und mehrere Paläste. Mdina liegt auf einem von drei Seiten durch steile Felsabbrüche geschützten Plateau und verdient völlig das Attribut „stille Stadt“: Nach dem Lärm der Hauptstadt genießt man die Ruhe des Ortes. Endlich. (Der Standard, Printausgabe)