Marlene Streeruwitz
Jessica, 30
Frankfurt (Fischer) 2004
ISBN: 3100744276
Euro 19,50
Foto: Cover/FischerVerlag
Dieses Buch wäre an mir vorüber gegangen. Unter anderen Umständen. Und der Verlust wäre groß. Angenommen - als ein möglicher Umstand - die Autorin wäre mir unbekannt, dann hätte alleine der Titel nicht bloßes Desinteresse, sondern mehr noch Abscheu ausgelöst. Denn "Jessica" lässt gruselige Assoziationen à la Rosemunde Pilcher - leicht amerikanisiert versteht sich - aufsteigen. Und der Text auf dem Buchrücken, der eigentlich zum Lesen animieren und den Inhalt wiedergeben soll, lässt ein zweites Mal zusammen zucken, wenn es heißt:

"Typgerecht geschminkt, auf die richtige Figur gehungert, superschicke Klamotten, cooler Job und heißer Sex - alles wird gut! Für Jessica, 30, beginnt genau so das Abenteuer".

Da wird mit - eigenartigen - Euphemismen nicht gegeizt und das Bild einer jungen "modernen" Frau skizziert, deren Horizont reduziert erscheint auf blankes Tussi-Dasein. Aufgrund dieser Beschreibung hätte ich das Buch nicht gelesen und unter der Kategorie "Groschenroman des 21. Jahrhunderts" abgelegt.

Glücklicherweise gestalteten sich die Umstände anders. Denn seit den "Verführungen" begeisterte Streeruwitz-Leserin, begehrlich jedes neue Buch der Autorin erwartend, konnte es sich betreffend Titel und Inhaltsangabe nur um eine nebulose Verirrung handeln. Unmöglich, dass eine derart reflektierte Analytikerin der österreichischen Politik aus kritischer Frauensicht, wie die Streeruwitz eine ist, eine Figur konstruiert, in deren Gehirnwindungen sich nicht mehr findet als Mode, Sex und "Coolness".

Aber wahrscheinlich verkauft sich auf diese Weise ein Roman leichter. Nicht weil der Großteil der Frauen so oberflächlich, sondern weil die Spaßgesellschaft gerne ein "easy" Bild der "modernen Frau" zeichnet. Einer, die sich keine Gedanken zu machen braucht, weil eh alles neoliberalisiert, gendermainisiert und übersexualisiert, also wurscht ist.

Mit "Jessica, 30" liegt jedoch genau ein der erwünschten Ideologisierung gegenteiliges Frauenschicksal vor. Diese Jessica analysiert haarscharf und bringt ihre private Misere - ungesichterter Job als Redakteurin, Affäre mit einem egozentrischen und korrupten machistischen Politiker - sehr wohl mit den herrschenden gesellschaftspolitischen Strukturen - aufgestockter Global-Patriarchalismus - auf eine wahnwitzig tragische Ebene. Das vermeintliche Private, besonders jenes einer Frau, wird vor den Vorhang geführt und mit all seiner Grauenhaftigkeit als alltäglich werkendes Politisches entlarvt. Eine Vorführung, die nicht bloß literarisch schon längst von Nöten war. (dabu)