Walter Eselböck beim befeheln

Foto: Florian Holzer
Seit 20 Jahren vergibt der Gault-Millau-Führer den Preis des "Feinschmecker des Jahres" an prominente oder verdienstvolle oder von unglaublicher Sachkenntnis durchdrungene Gourmets. Und seit 20 Jahren gibt es den "Taubenkobel" im burgenländischen Schützen am Gebirge, einst ein Landgasthaus, das immer irgendwie ein bisschen witziger und dynamischer und spannender war als andere Landgasthäuser, heute ein kulinarisches Gesamtkunstwerk und zugleich eines der besten Restaurants Mitteleuropas.

"Wir wollten aus diesem Anlass kein großes Fest", erklärt Patronne und charismatische Sommelière Eveline Eselböck, "sondern ein großes Jahr." Soll heißen, das ganze Jahr über gibt's Events und Aktionen, vom Erntedankfest mit Starwinzern bis zur Präsentation der speziell für den Taubenkobel gesampelten Dorfmeister-CD, vom gemeinsamen Kochen mit Karl Eschlböck ("Das Verwechslungsmenü", am 16. 9.) bis zur Lesung von Thomas Maurer und Florian Scheuba aus ihren bitterbösen "Falstaff"-Zynismen gegen die Weinwelt. Außerdem jede Menge Sonderfüllungen, eine "Jubiläums-Linie" in der Greißlerei und schließlich zum Ende des Jubeljahres ein - oftmals erwähntes und schon lange erwartetes - Kochbuch. Und die Eselböcks ließen sich auch etwas einfallen, um dieser zeitlichen Parallelität - Taubenkobel und "Feinschmecker des Jahres" - zu huldigen: Alle (noch lebenden) Geehrten wurden eingeladen, 20 Gänge aus allen Schaffensperioden Walter Eselböcks zu verkosten, zu bewerten und damit ein "Jahr der Taube"-Gericht zu küren.

Fast alle kamen (Eselböck: "Das gab's noch nie!") und aßen - Männer und Frauen je zehn Gänge - bis spät in die Nacht Frischkäse mit Zucchini und Hirtenspieß vom Aal, kalt gedämpfte Schleie auf Gurkensauce mit Wildkräutern (grandios!), eine fulminante pannonische Kaltschale, einen lauwarmen Saibling mit Bröselgnocchi, der ein Gedicht war, die zarteste Soproner Ganslleber auf Selchrollgerstl der Welt, Reh aus der Esterházy-Jagd in drei Varianten mit Selleriepalatschinken in Kaffeesauce, lackierte Taube auf sauren Linsen und Morcheln, ein unglaubliches Topfengratin auf süßem Zucchini-Paradeiser-Salat und eine Schokoladepraline mit Blattgold und Waldbeeren mit rotem Pfeffer.

Gewonnen hat übrigens nicht die Taube, die zwar maßlos köstlich war, aber das wäre ja auch etwas plump gewesen (sie wurde Fünfte), sondern die Crème brulée von der Gänseleber ex aequo mit der Schokopraline, die an die Höchstwertung schon ziemlich nahe heranreichten. Diese beiden Gerichte gibt es jetzt das ganze Jahr über, und ob es im Herbst von Gault Millau zur Belohnung vielleicht auch eine vierte Haube für den Taubenkobel gibt, wird man ja sehen. (Florian Holzer, DER TANDARD, rondo/04/06/2004)