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In Washington versammeln sich am Wochenende rund 100.000 Veteranen zur Einweihung.

Foto: apa/epa/William Philpott

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Friedrich Florian Gartler, geboren in Graz und seit den 1960ern als Friedrich St. Florian einer der Referenzpunkte der visionären österreichischen Architektur, hat das Memorial in die Mall eingefügt, als hätte es dort immer schon gestanden.

Foto: REUTERS/HO-Richard Latoff/American Battle Monuments Commission

Warteräume für Flugzeuge, 1968.

Foto: AZW/© Friedrich St.Florian

DER STANDARD: Herr St. Florian, mit Ihren Entwürfen aus den Sechzigerjahren, die gegenwärtig in der Ausstellung "The Austrian Phenomenon" im Architekturzentrum Wien zu sehen sind, haben Sie sich einen festen Platz unter den Visionären der österreichischen Architektur gesichert. Ihr "National World War II Memorial" hingegen ist auch in den USA auf Kritik gestoßen - wundert Sie das?


St. Florian: Nein, das verstehe ich, denn eigentlich bin ich ein moderner Architekt. Aber das Memorial, zu dem ich den Wettbewerb 1997 gewonnen habe, liegt mitten auf der National Mall, der grünen Achse, die vom Hügel des Capitols nach Westen führt, über den Obelisken des Washington Monument und den Tempel des Lincoln Memorial hinaus in die Landschaft.

Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich immer wieder auf englische Worte zurückgreife und auch bei meinem Bauwerk weiter von Memorial spreche, im Englischen gibt es keine Unterscheidung zwischen Denkmal und Mahnmal.

Alle Bauten an der Mall sind im klassischen Stil errichtet, und dafür gibt es einen wirklich zwingenden Grund, der zurückgeht auf Thomas Jefferson. Er hat selbst Architektur entworfen, zum Beispiel die Universität von Virginia. Jefferson kannte Paris, er war Klassizist. Es gab ja zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit keine amerikanische Architektur. Jefferson wollte aus der Kultur der ersten Siedler etwas Verbindendes herausfiltern und wählte für Washington den klassischen "Greco-Roman Style".

DER STANDARD: Nun hat sich nicht nur die Bevölkerung der USA seither verändert, sondern auch die Architektur. Selbst an der Mall entstanden zeitgenössische Gebäude wie die National Gallery von I. M. Pei, dem späteren Architekten der Louvre-Pyramide.

St. Florian:  Das ist richtig. Es gibt ja auch das Vietnam Memorial. Aber diese Bauten stehen am Rand, nicht direkt in der Achse. In dem kleinen Buch Architektur und Utopie schreibt Manfredo Tafuri über die Mall in Washington, sie sei ein "zeitloser Olymp, für ewig utopisch, positiv, wo Amerika ängstlich Wurzeln zu schlagen versuchte". Jefferson wollte, dass das Washington stabil bleiben, nicht von der gesellschaftlichen Entwicklung mitgerissen werden sollte, wie er das für New York vorausgesehen hat. Als "Ideal unbefleckter Vernunft".

DER STANDARD: Aber selbst wenn man dies als Gründungsakt akzeptiert, der in seiner Architektur Vernunft und Aufklärung verkörpert, so bleibt doch die Frage, warum Sie nicht eine Form wie den Obelisken gewählt haben, der ja als altägyptisches Motiv weit hinter den Klassizismus zurückgeht und uns heute in seiner zeitlosen Form "moderner" erscheint als der gegenüberliegende, erst 1922 eröffnete Tempel des Lincoln Memorial?

St. Florian: Aber die moderne Architektur geht langsam zu Ende. Es war eine der großen Epochen der Architektur, aber man muss sich fragen, wo wir heute stehen. Hat die moderne Architektur heute die Kraft und die Energie, die sie vor zwanzig, dreißig Jahren gehabt hat? Mit dem Memorial habe ich daher auf eine sehr amerikanische Form des Klassizismus zurückgegriffen.

DER STANDARD: Was bedeutet es denn, mit dem heutigen Wissen über Architektur in diesen Formen zu bauen? Oder ignorieren Sie die vergangenen hundert Jahre?

St. Florian:  Es ist für einen modernen Architekten natürlich eine Herausforderung. Aber sehen Sie, alles besteht aus massivem Granit, nichts ist irgendwie verkleidet. Das ist doch eine kraftvolle Geste. Das Memorial wird so lange bestehen bleiben wie die Vereinigten Staaten von Amerika.

DER STANDARD: Die Geste, den Stein massiv zu verwenden, ist doch eine moderne. Zu Jeffersons Zeiten bestand der Klassizismus aus Ziegeln oder Holz, vereinheitlicht und überdeckt von einer Gipsschicht.

St. Florian:  Das ist wahr. In der Massivität sehe ich auch einen Bezugspunkt zu Mies van der Rohe, zur Ehrlichkeit des Bauens. Ich muss sagen, ich bin sehr stolz auf das Memorial und die Steinmetzarbeiten. Aber ein wichtiger Bestandteil sind auch die Springbrunnen. Neben Granit und Wasser gibt es nur noch Bronze, als Material für die Lorbeerkränze an den Säulen, die jeweils einen Bundesstaat und in ihrer Gesamtheit die Homefront repräsentieren. Das Memorial konnte ja kein Gebäude sein und die Blickachse verstellen. Also rahmt es die Achse.

DER STANDARD: Sie versuchen, in einem optimistischen Sinne konservativ zu sein und orientieren sich an den Idealen der Architektur der Mall. Aber das Mahnmal handelt vom Krieg. Ist es ein Siegerdenkmal? Kommen die Opfer darin vor?

St. Florian: Ich wollte den Krieg auf keinen Fall verherrlichen. Die Opfer, auf amerikanischer Seite waren es rund 400.000 Soldaten, werden durch eine Wand mit 4000 goldenen Sternen repräsentiert. Diese Sterne wurden den Angehörigen der gefallenen Soldaten zusammen mit einer gefalteten amerikanischen Flagge überbracht.

DER STANDARD: Und die Opfer in der Zivilbevölkerung?

St. Florian:  Eine Balance herzustellen und nicht nur den Sieg der Demokratie zu zeigen, sondern auch das Leiden, das dieser Krieg über so viele Millionen Unschuldige gebracht hat, war mir immer sehr wichtig. Das Memorial hat Inschriften an verschiedenen Stellen, dort sollte auch daran erinnert werden. Nur wurden diese Inschriften nach dem Amtsantritt von Präsident Bush ausgetauscht, das ist sehr bedauerlich.

DER STANDARD: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihren frühen Arbeiten und dem Memorial?

St. Florian: Ich bin 1961 das erste Mal als Architekturstudent in die USA gekommen, seit 1967 lebe ich hier und bin seit fast vierzig Jahren Professor an der Architekturschule in Rhode Island. Damals war ich sehr von Buckminster Fullers Ideen beeinflusst und suchte nach einer Architektur, die nur da ist, wenn man sie braucht. Irgendwann in den Siebzigern ging es damit nicht mehr weiter, weil keine Technologien zur Verfügung standen, so eine Architektur zu verwirklichen. Die Lehre war mir immer wichtiger, als selbst zu bauen. Aber jetzt will ich damit beginnen. Ich habe den Entschluss gefasst, meine Professur niederzulegen und mit dem Bauen anzufangen.

DER STANDARD: Werden dabei die Erfahrungen bei dem Memorial eine Rolle spielen?

St. Florian: Ganz bestimmt. Ich werde eine Position einnehmen, die das Memorial als Statement berücksichtigt. Sonst würde mich das Bauen gar nicht interessieren. ( architektur@derStandard.at , DER STANDARD, ALBUM Printausgabe vom 29./30./31.5.2004)