Erhabenes Panorama einer Ökokatastrophe: Los Angeles etwa wird in Roland Emmerichs "The Day After Tomorrow" von Tornados verwüstet.

Foto: Centfox
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Der erste grüne Blockbuster erzählt von alten und neuen Feindbildern.

Wien – Wer schenkt schon Wetterprognosen wie dieser Glauben? Da kann Klimaforscher Jack Hall (Dennis Quaid), gerade zurückgekehrt von einer Expedition nach Grönland, noch so sehr vor apokalyptischen Eiszeitszenarien warnen – der US-Vizepräsident, auch optisch am amtierenden Vorbild Dick Cheney angelehnt, schmettert ihn beim Hearing mit zynischem Pragmatismus ab: Die Wirtschaft sei doch mindestens ebenso labil.

Danach hat es das Wetter eilig mit dem Wahrheitsbeweis. In Indien schneit es. In Japan fallen fußballgroße Hagelbrocken vom Himmel. Und nachdem auf dem Atlantik mehrere Messstationen von einem abrupten Temperatursturz künden, mehren sich noch andere alarmierende Vorzeichen: Vogelschwärme ergreifen massenweise die Flucht in den Süden, während sich im milden Kalifornien gleich eine Hand voll Tornados zusammenbrauen und Downtown Los Angeles verwüsten.

"Wo wirst du sein?", fragt die Tagline von Roland Emmerichs neuem, 125 Millionen Dollar teurem Katastrophenfilm The Day After Tomorrow. Die Antwort wird bei den meisten lauten: Im Kino. Denn filmische Untergangsspektakel üben seit jeher einen großen Reiz aus. Vertraute Settings, berühmte Städte, wohl bekannte Architekturen aus sicherer Position zerbersten zu sehen gehört schon lange zu den verführerischsten ästhetischen Möglichkeiten des Kinos. Die unmögliche Ansicht wird zur reinen Attraktion – und darüber zum stets stolzen Beleg für den technologischen Status quo.

Desaster mit Botschaft

Im jüngsten Fall wurde man jedoch im Vorfeld des Kinostarts nicht müde zu betonen, dass es eine wertvolle Botschaft gebe. Das ökologische Desaster sei, zumindest im Ansatz, realistisch. Diverse NGOs nutzen die Werbemaschinerie des Films zur Eigenpropaganda, und selbst der Deutsche Emmerich, der sich mit Arbeiten wie Independence Day oder The Patriot chauvinistischer als mancher Amerikaner gab, verkündet, den ersten grünen Blockbuster gedreht zu haben – Politikerschelte inklusive.

Letzteres mag partiell der Fall sein: Nicht nur erweisen sich darin Regierungsvertreter als zaudernde Technokraten, The Day After Tomorrow leistet sich darüber hinaus die ein oder andere ironische Umkehrung realer Machtverhältnisse, wenn US-Amerikaner in der Flucht vor der neuen Eiszeit die Grenzen nach Mexiko stürmen. In Independence Day flog der US-Präsident noch selbst Attacken gegen die Aliens, jetzt bleibt er irgendwann im Schnee stecken – und dafür gibt es noch nicht einmal ein Bild.

Katastrophenfilme, speziell in den 70er-Jahren, waren allerdings schon immer zivilisationskritisch. Ob Airport (1969) oder The Towering Inferno (1974) – im Fiasko traten menschliche Hybris wie latente Ängste vor beschleunigten Technologisierungschüben zutage, die erhabene Natur erbebte mitunter also nur als Vorwand. The Day After Tomorrow ist Filmen dieser Zeit näher als jenen aus den späten 90ern – wie Twister oder Dante's Peak -, welche die Schaulust des Zuschauers oftmals auf die handelnden Figuren übertrugen und dafür gesellschaftliche Zusammenhänge eher vernachlässigten.

Bei Emmerich stehen, zumindest in der ersten Hälfte, zwar auch noch die technisch sehr avancierten Freskos der Zerstörung im Vordergrund. Doch sobald New York zur Lagunenstadt geworden ist und zufriert sowie die gesamte nördliche Hemisphäre im ewigen Eis verloren scheint, gewinnt pragmatisches Krisenmanagement die Oberhand – was vor allem über ein klassisches Drama um die Kernfamilie verhandelt wird.

Angewandtes Wissen

Sam (gespielt von Jake Gyllenhaal, der in Donnie Darko schon Jugend als eine Form von Katastrophe erlebte) hat sich gemeinsam mit einer bunt gemischten Gruppe – darunter auch ein Obdachloser, der genuine "Überlebenskünstler" – in der New Yorker Bibliothek verschanzt und trotzt der Kälte mit zivilisatorischer Vernunft. Er ist der Sohn des Klimaforschers Jack Hall, der sich von der Politik entfernt, um seinem entfremdeten Sprössling mit Skiern zu Hilfe zu eilen.

The Day After Tomorrow spielt in und mit jenem Ausnahmezustand, bei dem alle Errungenschaften des zivilen Lebens darniederliegen. Wissen wird zu diesem Zeitpunkt am nackten Dasein überprüfbar – Sam und seine beiden Begleiter waren für einen Bildungstest nach New York gereist -, soziale Gegensätze werden für den Moment überwunden. Man heizt mit Büchern, verschont dabei freilich den Kanon; man holt sich Antibiotika und Nahrung vom angeschwemmten russischen Tanker – und der Film büßt einiges von seinem anfänglichen Tempo ein.

Die anderen Schauplätze, zwischen denen zuvor hin-und hergewechselt wurde, hat Emmerich da bereits fast aufgeben – etwa den in Schottland, wo sich Wissenschafter mit einem Whiskey "stilecht" verabschieden. Und nach der Visualisierung von Tornados, Schneestürmen und Flutwellen, in denen entstellte Wahrzeichen wie die Freiheitsstatue noch einmal die Nähe zur Gegenwart zu suggerieren versuchen, wird sogar die Katastrophe unsichtbar.

Denn anstatt sich weiter in Unheilsbringern zu materialisieren, verwandelt sie sich im Epizentrum zu reiner Kälte, bringt einen sekundenschnellen Temperatursturz, der ähnlich wie der Schatten der Ufos aus Independence Day die Wolkenkratzer herunterkriecht. Der todbringende Frost zwingt die Figuren zu eiligem Handeln gegenüber einem Feind, der weniger zu sehen als zu spüren ist.

Dabei bedient The Day After Tomorrow wohl auch Ängste, die über das ökologiefreundliche Szenario hinaus unterschwellig von einem Feind erzählen, der plötzlich und überall zuschlagen kann. Und argumentiert, dass diesem nur über präventive Maßnahmen beizukommen ist. Zumindest in diesem Punkt setzt Emmerich an einem politischen Bewusstseinsstand an, der vielen vertraut sein dürfte. Ans Ende dann noch ein frommer Wunsch: Der Exvize entschuldigt sich in seiner ersten Präsidentenrede für seine Fehler. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.5.2004)