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Foto: APA/Schneider

Wien - Eine Reihe weiter vorne saßen vier Mädchen. Ungefähr zehn Jahre alt und wahrscheinlich Kolleginnen vom Bussi Bär oder der Spatzenpost. Immerhin saßen sie ja in der Presseloge. Entsprechend abgebrüht erschienen sie dann auch. War ihnen vor dem Auftauchen von Britney Spears auf der Bühne der Wiener Stadthalle noch eine gewisse Euphorie anzumerken, erschein diese nach wenigen Nummern bereits erkaltet. So jung und schon so abgebrüht.

Womöglich ist das aber auch nur eine böse Unterstellung. Als Zeuge der Aufführung der Onyx Hotel-Tour - in Osteuropa als Begriff für Bordelle in Verwendung - , musste man nämlich selbst bald feststellen, dass der 22-jährige US-Popstar mit viel Aufwand ein verlorenes Rennen bestreitet. Diesen Umstand verdeutlichte einmal die schütter besuchte Halle, in die das Konzert, das ursprünglich sehr selbstgewiss auf der Donauinsel stattfinden hätte sollen, wegen "technischer Probleme" verlegt wurde.

Zum anderen gelang es Spears keinen Moment lang, so etwas wie Energie zu erzeugen, die sich dann auf das verbliebene Neigungsgrüppchen übertragen hätte können. Dabei gab sie alles: en anspruchsvolles Bauch-Bein-Po-Programm im Lederlackoutfit, rhythmische Sportgymnastik mit den an jeder Stelle der Bühne verfügbaren Tänzern und brav einstudierte Cheerleader-Akrobatik. Dazu werkte rechts hinten auf der Bühne eine Alibi-Band, die dem präsentierten Großraumdiscomüll optisch als Feigenblatt diente.

Image versus Image

Wenn man bedenkt, dass Spears auf diese Art rund 50 Millionen Platten in die Jugendzimmer dieser Welt schummeln konnte, ist man froh, kein Erziehungsberechtigter zu sein. Aber genau dort, im Jugendzimmer ihrer früheren Zielgruppe, beginnt ihr Problem: Die Kids werden erwachsen und Spears, die mit dem Image der unbefleckten Märchenprinzessin angetreten war, muss dieses - das durch diverse toxische Eskapaden ohnehin jeglicher "Glaubwürdigkeit" beraubt wurde - nun nachjustieren.

Doch das geile Luder, das der Spießerbarbie folgt, nimmt man ihr nicht mehr in dem Ausmaß ab wie die Rolle davor. Was man sieht, ist das Zerrbild eines Menschen ohne Jugend. Das Produkt von Marketingstrategien und wirtschaftlicher Optimierung bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Menschen hinter dem Label Britney.

Ein selbst gewähltes Schicksal. Denn seit frühester Kindheit wollte das tief religiöse "smalltown girl" aus Louisiana dorthin, wo sie nun ist. Oder wo sie bis vor kurzem noch war. Denn die Verkaufszahlen des aktuellen Albums In The Zone hinken den Erwartungen weit hinterher.

Ging ihr Debüt One More Time noch rund 25, das Folgewerk Ooops! . . . I Did It Again rund 20 Millionen Mal über die Ladentische, kratzt sie nun nicht einmal an der Fünf-Millionen-Marke. Trotz vollsten Publicity-Einsatzes, einer im Vollrausch geschlossenen und zwölf Stunden danach wieder annullierten Ehe inklusive. Dass dieses bedingungslose Karrierestreben persönliche Defizite zeitigt, kann auch ein kolportiertes 200-Millionen-Dollar-Vermögen nicht wettmachen. Armes reiches Mädchen.

Als solches wirkte sie in ihrer bizarr aufgemascherlten, aber vollkommen lieblosen Bühnenshow. Ihre Versuche, das Image Britney einzuholen, ergaben ein entsprechend klägliches Bild, in dem ein ebensolches Stimmchen vom Band Dienst nach Vorschrift verrichtete.

Onyx Hotel ist eine aufgeblasene Operette des synthetischen Pop, in der eine rastlose Dagmar Koller einer neuen Generation für ein globalisiertes Publikum ein schlechtes Märchen erzählt. Doch während immer größere Teile ihres bisherigen Publikums dies längst als solches erkannt haben, scheint die Märchentante selbst immer noch daran zu glauben. Daran glauben zu wollen, daran glauben zu müssen.

In Spears' Weltbild kann es doch nicht sein, dass man so weit kommt und dabei nicht glücklich ist - oder doch? (Karl Fluch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. 5. 2004)