Melancholische Alltagsszenen, immer nahe am Unsinn: Teddy (Helge Schneider) in der Rolle eines Fisch- verkäufers, einem von mehreren Teilzeitjobs des Musikers im Film "Jazzclub".

Foto: Filmladen
In seinem neuen Film "Jazzclub - Der frühe Vogel fängt den Wurm" blickt der deutsche Komiker Helge Schneider zurück auf die Anfänge seiner Kunst.


Mülheim/Ruhr - Jeder kennt Helge Schneider, vor allem in Mülheim an der Ruhr. Der Taxifahrer besuchte mit ihm die Schule und weiß, dass der Komiker, Musiker und Buchautor vier Kinder von drei verschiedenen Frauen hat. Ein anderes Kapitel aus seinem Leben erzählt Schneiders neuer Film, "Jazzclub - Der frühe Vogel fängt den Wurm": Der Jazzmusiker Teddy, der mit seinen Kumpels in leeren Spelunken seiner Leidenschaft nachgeht, sich untertags als Fischverkäufer verdingt und durchweichte Zeitungen in Postfächer quetscht, trägt (auch) autobiografische Züge. Gedreht wurde der Film natürlich in Mülheim, ganz in der Nähe von Schneiders Büro. Während eines Interviews mit ihm kann's passieren, dass er einen Anruf erhält, weil einer seiner Hasen ausgebüxt ist.

STANDARD: "Jazzclub" zeigt einen Musiker, der zum flexiblen Jobber wird, um zu überleben. Ein Film über die Rezession?
Helge Schneider: Nee, mit Deutschland in der Rezession hat der Film nicht so viel zu tun. Er hat mehr mit meinem Leben zu tun, weil ich ja immer in der Rezession gesteckt habe - bevor ich das Glück hatte, Platten zu verkaufen. Ich fing ja auch verschiedene Berufe und Ausbildungen an und beendete sie nie. Ich hab' Gelegenheitsarbeiten gemacht, war Straßenfeger, Tierpfleger, weil ich von der Musik nicht leben konnte. Darüber kann man, wenn man will, auch lachen.

STANDARD: Insgesamt ist der Film aber eher melancholisch.
Schneider: Ja, "Der Partyschreck" von Blake Edwards ist es nicht gerade. Er schleicht in diesem Untempo vor sich her . . .

STANDARD: "Jazzclub" hat viele private Bezüge. Er spielt in Mühlheim, wo Sie leben. Es gibt den Jazz und viele Alltagsmomente. Wie funktioniert dieser Übersetzungsprozess?
Schneider: Das weiß ich eigentlich selbst nicht so genau. Man nimmt einfach auf und speichert im Unterbewusstsein irgendwo ab. Ich kann dann einfach irgendwann davon erzählen. Das passiert eher automatisch, wie bei anderen Menschen. Nur hab' ich daraus einen Beruf gemacht. Oder: Die Fähigkeit, aufzunehmen und zu erzählen, hab' ich in meinen Beruf einfließen lassen. Deshalb ist mein Beruf auch so besonders an meine Person gebunden.

STANDARD: Warum ist Ihnen diese Nähe so wichtig?
Schneider: Beim Drehen war das deswegen wichtig, weil ich nirgendwo anders hinmusste. Ich musste beispielsweise keine Straßen absperren lassen, weil man mich hier sowieso kennt. In einer anderen Stadt wäre das viel aufwändiger. Ich wollte die Realität einfangen, was ja stellenweise ganz gut gelungen ist. Mit wenigen Bildern. Ist ja auch ein Bilderfilm.

STANDARD: Gleich am Anfang gibt es ja diese Straßenbahnszene, die sehr dokumentarisch ist. Eine schöne, lange Alltagsszene.
Schneider: Da wird ganz deutlich, das der Film so eine Mischung aus Dokumentarfilm und Spielfilm ist - und zwar so, dass das Dokumentarische nicht auffällt, aber auch das Gespielte nicht. Diese Natürlichkeit war mir besonders wichtig. Mit diesen Außenaufnahmen hab' ich das erreicht. Das Bild sollte lange stehen bleiben.

STANDARD: Ist das auch ein Maß für die Komik: Je länger etwas anhält, desto komischer wird's?
Schneider: Umso komischer könnte es werden, wenn man sich darauf einlässt. Klar. Weil es nicht üblich ist. Und alles, was nicht üblich ist, kann ja auch komisch sein. Aber ich finde das einfach gut, wenn eine Aufnahme länger steht. Da kann man mehr gucken.

STANDARD: Es gibt ja auch eine Stummfilmszene, wobei mich der melancholische Humanismus von "Jazzclub" insgesamt an Chaplin oder auch an Buster Keaton erinnert hat.
Schneider: Chaplin ist kein Vorbild, Keaton eher. Der hat nicht wie Chaplin durch Drehbuchtricks manipuliert. Keaton ist anarchisch, da sieht man das Versagen. Oder W. C. Field. Gut gefällt mir auch Dick und Doof.

STANDARD: Ihr Umgang mit Sprache ist sehr spezifisch. Die Dialoge sind oft unsinnig.
Schneider: Ja, zum Beispiel diese Gespräche mit Charlie Weiss unter der Brücke, die oft gar keine sind: "Wie geht's?", "Ja, muss.", "Na, soll.", "Und du?", "Joo." - Als ich den Film nochmals gesehen habe, habe ich mir eigentlich gewünscht, dass es noch weniger Handlung gibt. Das ist das Problem, wenn man einen Film mit so vielen Leuten, Hintergrund, Geld, Produzenten usw. dreht. Dann ist man schnell in einer Mühle und macht einen Film, der eine halbe Handlung hat. Die aber gar nicht nötig wäre. Er hätte auf der Straßenbahnhaltestelle bleiben sollen.

STANDARD: Das wäre dann aber mehr Andy Warhol.
Schneider: Von mir aus, ja. Eigentlich auch besser.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, das Unvollkommene, das Versagen ist Ihnen wichtig.
Schneider: Das Scheitern gehört ja mit zum Leben und daher auch zum Erfolg. Das ist ja ganz klar, sonst merkt man ja den Unterschied nicht. Aber Erfolg und Scheitern: Beides ist eigentlich uninteressant. Leben ist interessant. Der Film behandelt ja auch einen Teil davon. Aber mit mir dreht man ja immer nur Filme, die gar nichts kosten. Als Helge Schneider hab' ich da nie die Möglichkeit, so viel Geld zu verbraten wie Chaplin.

STANDARD: Hat Sie das sehr behindert?
Schneider: Das macht mir eigentlich nichts, ich bin ja kein Filmemacher. Ich hab' den Film nur gemacht, damit mal ein paar Leute Arbeit haben. Ich improvisiere eigentlich am liebsten, was aber beim Film kaum möglich ist. Weil die Rahmenbedingungen beim deutschen C-Movie sehr eng sind. Den nächsten Film mach' ich ganz alleine. Ohne Produzenten und Verleiher - der hat ja in diesem Fall sowieso Pleite gemacht. "Jazzclub" hätte auch nicht in den Multiplexen spielen sollen, sondern in intimerem Rahmen.

STANDARD: Wie im Werkstattkino in München? Schneider: Richtig! Der Film ist wie die Abschlussarbeit eines Filmstudenten, der aber kein Diplom gekriegt hat. Ein Film gegen die Zeit. Denn heute ist ja die Zeit, wo es nur silberne und schwarze Autos gibt, weil die Leute nur an den Wiederverkaufswert denken. Das findet sich im Filmgeschäft wieder: alles total angepasst. (kam/DER STANDARD, Printausgabe, 12.5.2004)