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Dawson City

Foto: Archiv
"Gold!“ jubelte die „San Francisco Post“ und löste die größte Abenteuerpanik aller Zeiten aus: den Klondike-Goldrausch. Vor über 100 Jahren lag am Yukon „das glänzende Zeug eingeschlossen wie Käse im Sandwich“.

Hering an Hering reihen sich die klitschnassen Zelte um das müde flackernde Lagerfeuer am Campingplatz von Skagway, Alaska, und sogar das erlebnishungrige Lodern in den Augen der Neo-„Stampeders“, jener Goretex-Abenteurer auf den Spuren der Goldsucher, verblaßt unter dem Feuchtigkeitssegen des Pazifiks.

Zu Zehntausenden, ohne High-tech-Regenschutz allerdings, sammelten sich 1897 die Glücksritter in der Zeltstadt von Dyea am Ende des Taiya Inlets, des weltlängsten Fjords, um den Weg über 1000 erbarmungslose Kilometer ins „Paris des Nordens“ zu wagen, nach Dawson City. Amerikas brave Familienväter, zukünftige Freudenmädchen und bislang erfolglose Schriftsteller wie Jack London gelangten per Schiff in den Norden.

Noch heute stehen die Reisenden von Seattle oder Vancouver nach Alaska schweigend am Bug der Fährschiffe auf dem „Alaska Marine Highway“ und starren auf die Wasserlinie. Nicht die Gier nach dem großen Glück, sondern das grandiose Spiel der Inseln, Fjorde und die verwegenen Striche der Westküste Kanadas entlang der Inside Passage rauben ihnen den Atem.

Der einstige Landeplatz der Nordfahrer, Dyea, ist verschwunden. Ein Tonne Gepäck, Lebensmittelvorräte für ein Jahr, mußten die 22.000 Wagemutigen im Winter 1897/98 hochschleppen, um vom kanadischen Zoll ins Yukon Territory eingelassen zu werden. Die Bilder der sich abmühenden Menschenkette gingen um die Welt, unzählige scheiterten, darunter jene 60 Männer und Frauen, deren Gräber am Friedhof von Dyea alle das gleiche Datum tragen: den 3. April 1889, als der Weg zum Klondike-Gold unter einer Lawine endete. In drei bis sechs Tagen, mit entsprechendem Proviant ausgerüstet, schafft man heute die gut ausgeschilderte Tour, von wenigen Biwakhütten gegen den Dauerregen flankiert.

Vom Zauber kühler, einsamer Schönheit und der Erleichterung, durchgekommen zu sein, wurden am Lake Bennett wohl auch die Goldsucher übermannt. Endlich konnten sie ihre Last in selbstgezimmerte Boote umladen, um zum Highway des Nordens, dem Yukon Fluß, zu treiben.

Als am 29. Mai 1898 das Yukon-Eis brach, kam eine Armada von 7100 Booten die letzten 900 km nach Dawson City. Mit dem Bau des schwindelerregenden Bahndamms hoch zum White Pass wurde Dyea schon 1898 von Skagway als Anlaufpunkt für die wilden Horden abgelöst. Skagway – das „Ende des Wassers“ in der Chilkoot-Sprache, galt als „ein bißchen besser als die Hölle auf Erden – ungefähr der brutalste Platz in der Welt“ und mutierte schnell zum Eldorado für Ausrüster, Transport- und solche Unternehmer, die sich aufs Ausnehmen spezialisiert hatten.

Die Straße nach Dawson City will nicht enden. Außer Whitehorse, mit 20.000 Einwohnern die City und größte Stadt des 450.000 km² großen Yukon Territory, sind noch drei, vier Tankstationen die Zivilisationsinseln im Ozean aus Wald und Seen, die Goldfelder der Naturfreaks. Kanadische Camps haben alles, wonach sich ermüdete Abenteurerherzen sehnen: überdachte Gemeinschaftsräume mit Yukon-Ofen, Holz zur freien Entnahme, ins Netz hüpfende Lachse – und den Blick auf bewaldete Inseln, auf der eine Bärin für ihr Baby Blumen pflückt.

Graue Schlangen aufgewühlten Schotters kündigen die Goldfelder schon Meilen vorher an. Unvermindert trotzen einige der 1900 Einwohner von Dawson City dem Permafrost-Boden jährlich für einige Millionen Dollar das gelbe Metall ab. Dredges, riesige Schaufelbagger, fressen sich durch die Bachbetten entlegenster Claims, denn mit dem Teller waschen nur noch die Urlauber ihre Nuggets aus dem garantiert goldhaltigen Schlamm, 4$ die Portion! Und doch, überall könnten sie noch schlummern, die Klunker, erklärt Steve, ein alter Stollenfuchs, der seine Nuggets anpreist – groß wie Walnüsse!

Solcher Klondike-Segen blieb für Abertausende nur ein Traum, denn als das Heer der ’97er Stampeders im Frühling 1898 endlich das Ziel erreichte, war das einstige Trapperlager längst zur 30.000-Seelen-Metropole explodiert, die Claims verteilt und die ergiebigsten Adern ausgebeutet. Den meisten erging es wie Jack London, dessen Hütte am Ortseingang aufgestellt ist: Sie kamen vergeblich, aber sie sind dabeigewesen!

Vergeblich kommt heute niemand mehr: Für das Jubiläum lassen die Stadtväter mit einer bunten Reihe von Shows und Events jenes legendäre Prickeln wieder erwachen – was hier nicht schwerfällt! Die ganze City ist ein historischer Nationalpark, jedes Haus stammt noch aus den Pioniertagen oder sieht wenigstens danach aus, und in der Diamond Tooth Gertie’s Gambling Hall bringen die Cancan-Girls die Sommer-Cowboys in Rage. Samstagabend dann kommen die wahren Helden der Stadt aus ihren entlegenen Löchern, meist noch den Staub an den Händen, und hauen im Saloon auf den Putz: die Diggers und Ranger des Hinterlandes.

Der große Fluß

„Großen Fluß“ nennen die Dene-Indianer ihre 3200 km lange Wasserstraße, auf der Tausende enttäuschte und wenige erfolgreiche Stampeders im Herbst 1898 auf Raddampfern zur Bering-See weiterhetzten: Gold war in Nome gefunden worden.

Hinter der „SS Keno“, dem frisch renovierten Flußdampfer, steht die Schlange der Hobbynomaden, denn kaum drei Wohnmobile faßt die einzige Fähre ans andere Ufer des Yukon. Dort aber staubt der „Top of the World Highway“ 270 phantastische Panoramakilometer über einsame Bergkuppen zum Alaska Highway, unterbrochen nur vom nördlichsten US-Grenzübergang – und von Chicken! Das 37-Einwohner-Nest, an dessen indianischem Namen für „Schneehuhn“ sich die Zungen der Weißen brachen, ist die Zivilisations-Oase nach Monaten im Busch, denn hier gibt es Benzin, Duschen und Bier! Im Land mit den Jahreszeiten Juni, Juli, August und Winter, wo der Busch gleich hinter dem Gartenzaun beginnt, nimmt man die Dinge nicht so genau.

Die unerschöpflich wirkende Wildnis, das „grüne Gold“ Alaskas, wo sich die Flüsse rot färben vor Lachsschwärmen, wo die höchsten Berge Nordamerikas unter den größten Gletschern jenseits der Polarkappen schlummern, diese unendliche Weite an Grüntönen braucht viel Zeit und jede Menge Insektenspray, um erobert zu werden. Und Zeit läßt sich hier sogar die Sommersonne, die nicht vor Mitternacht errötet. (Der Standard, Printausgabe)