"Hysterie" im Umfeld Ariel Sharons registrierten gestern Israels innenpolitische Reporter, und ein Vertrauter des Premiers warnte gar vor einem "Zerbröckeln des politischen Systems", wenn der Regierungschef daran gehindert würde, sein Programm durchzuführen. Drei Tage vor der Abstimmung in der regierenden Likud-Partei waren nämlich alle Umfragen gekippt und zeigten an, dass die Gegner des Rückzugsplans plötzlich um drei bis acht Prozentpunkte voranliegen, was sogar Sharons Rücktritt als möglich erscheinen ließ.

Vor zwei Wochen hatte sich Sharon noch mit einem Vorsprung von mehr als zehn Prozentpunkten in Sicherheit wiegen können. Mit der landesweiten Abstimmung unter den 200.000 Parteimitgliedern sollten die Regierung und die Parteigremien "überfahren" werden, wo es keine Mehrheit für den "einseitigen Rückzug" gab. Der Plan sieht vor, dass Israel ohne jedes Abkommen mit den Palästinensern alle jüdischen Siedlungen im Gazastreifen und vier isolierte Siedlungen im Westjordanland auflöst, gleichzeitig sollen Siedlungszonen mit hoher Bevölkerungszahl im Westjordanland gehalten werden.

Nicht nur sein eigenes Prestige hat Sharon auf die Waagschale gelegt, sondern auch jenes von US-Präsident George Bush, der nach Abstimmung mit den Israelis die "Abtrennung von den Palästinensern" unterstützt. Aber die Rechte inner- und außerhalb der Regierung hat es geschafft, eine gut geölte Kampagne loszutreten. Am Dienstag, dem Nationalfeiertag, kamen 70.000 Menschen in den zur Räumung vorgesehenen Siedlungsblock Gush Katif, um den 8000 Siedlern ihre Solidarität zu bekunden.

Da die Rückzugsgegner viel engagierter sind als die Befürworter, musste Sharon den Einsatz erhöhen, um seine Anhänger wachzurütteln. Der sonst eher medienscheue Premier gab plötzlich serienweise Interviews, in denen er den Urnengang zu einer Art Vertrauensabstimmung über seine Person hochstilisierte: "Man kann nicht für mich sein, aber gegen den Plan, den ich betreibe." Würde der Plan am Sonntag blockiert, warnte Sharon, dann würde Israels Wirtschaft Schaden erleiden und das Verhältnis zu den USA belastet. Zugleich wäre es ein "Sieg für Yassir Arafat und die Hamas".

Kein Rücktritt

In einer Krisensitzung mit seinen Beratern beschloss Sharon gestern aber, nicht ausdrücklich mit seinem Rücktritt zu drohen. Damit wollte er sich offenbar die Hintertüre offen lassen, eine eventuelle Ablehnung des Plans durch seine Partei nur als "Empfehlung" zu betrachten und trotzdem eine Mehrheit im Ministerrat zu suchen.

Sollte er am Sonntag bei einer Basisabstimmung keine Zustimmung der knapp 200.000 Likud-Mitglieder bekommen, werde er andere Wege gehen, sagte ein enger Berater des Ministerpräsidenten am Freitag im israelischen Armeeradio. Sollte der Plan - mit der Zustimmung des Likud-Fußvolks oder ohne sie - schließlich doch durchgezogen werden, wird auf jeden Fall eine Regierungsumbildung notwendig sein, da Sharons rechtsgerichtete Partner abspringen werden. (APA/red/DER STANDARD, Printausgabe, 30.4./1./2.5.2004)