Bereits im Jänner hatte "Der Auftrag", produziert u. a. von "novapool" und den Festwochen, in Berlin Premiere. Im Bild zwei "Helden" der Revolution: Galloudec (Ekkehard Schall, li.) und Sasportas (Florian Lukas).

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Ulrich Mühe, 1953 geboren im ostdeutschen Grimma, spielte in Heiner Müllers Inszenierung von "Hamlet/ Hamletmaschine", als der Arbeiter- und Bauernstaat in sich zusammenbrach.

In der Folge arbeitete Mühe für Theater, Film (Michael Haneke) und Fernsehen – ein Einzelgänger, den etwa Claus Peymann 1994 als Wiener "Peer Gynt" besetzte.

"Der Auftrag" ist seine erste größere Regiearbeit.

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Heiner Müllers Revolutionsstück "Der Auftrag", mit dem die Wiener Festwochen am Freitag ihren vorgezogenen Beginn feiern, wirft Fragen nach der "Spielbarkeit" politischer Begriffe auf. Regisseur Ulrich Mühe plädiert im Gespräch mit Ronald Pohl für mehr Geschichtsbewusstsein.


Wien – Drei vom Pariser Konvent entsandte Revolutionäre landen 1799 auf Jamaika, um die Prinzipien der Französischen Revolution auszusäen – und vergessen über den Wirren ihren eigentlichen "Auftrag". Heiner Müllers gleichnamiges Stück hat als Tourneeproduktion bei den Wiener Festwochen am Freitag Abend in der Halle E im MuseumsQuartier, 19.30 Uhr, Premiere.

STANDARD: Anlässlich Ihrer Müller-Jänner-Premiere in Berlin konnte man den Eindruck gewinnen, einer Veranstaltung für Eingeweihte beizuwohnen. Nun umgibt diese wortgewaltigen Theatertexte eine neue Fremdheit. Einerseits werden Tonnen von Sekundärliteratur über Müller veröffentlicht, zum anderen schert sich keine wichtige Dramaturgiestube um Aufführungen. Kann einem Dramatiker überhaupt etwas Schlimmeres passieren?

Ulrich Mühe: Da muss man zwei Phänomene voneinander trennen: die Rezeptionsgeschichte in den letzten Jahren – und, ganz simpel, die politische Grundhaltung. Ob man die Texte für verstaubt hält oder meint, dass sie uns noch etwas zu sagen haben.

Ich hätte jedenfalls nicht vermutet, dass ich mit meiner Regiearbeit an Der Auftrag in so ein Wespennest hineinsteche. Ich laufe ganz bewusst nicht als "Müller-Jünger" durch die Gegend. Weil ich diesen Autor sehr liebe, habe ich gesagt: Ich mache alle fünf Jahre etwas. Da merkt man rasch, wie man in abgesteckte Reviere hineintritt. Es gibt so eine schleichende Müller-Bewegung, die derweil noch unter dem Deckel gehalten wird. Aber jeder steckt in der Zwischenzeit seine Claims ab – und hofft auf eine Heiner-Müller-Renaissance, um dann kräftig zuschlagen zu können.

STANDARD: Brecht sprach einmal von der "durchschlagenden Wirkungslosigkeit eines Klassikers". Man konstatiert Müllers Größe – und legt im Abtausch die Politik fein säuberlich ab. Was sind nun Ihre Regieerfahrungen mit "Der Auftrag"? Das ist schließlich kein herkömmlicher Dramentext, sondern eine verdichtete, "offene" Form mit wechselnden Erzählebenen. Hatten Sie Angst vor der Arbeit?

Mühe: Ja, ich bin mit Bammel da hineingegangen. Wir haben uns anderthalb Jahre durch die Amtsstuben gequält, um Gelder aufzutreiben. Das ist eine freie Produktion, und wir waren für zwei Monate ein richtiger Kleinbetrieb mit 30 Mitarbeitern. Als es dann so weit war, hatte ich natürlich Versagensangst – mit sieben hochkarätigen Schauspielern vor mir auf der Probe. Aber die Kollegen waren unheimlich durstig auf den Text.

STANDARD: Neben Filmhelden wie Herbert Knaup und Christiane Paul spielen Theaterheroen wie Brecht-Schwiegersohn Ekkehard Schall. Können die sich überhaupt sinnvoll untereinander verständigen?

Mühe: Mit Müller-Texten muss das eben gehen: dass sich heterogene Künstler auf das Thema verständigen. Ich musste Leute finden, die "frei" sind – November, Dezember, Jänner, das ist eben die filmarme Zeit. Daneben lag mir daran, die drei Revolutionäre mit Vertretern dreier unterschiedlicher Generationen zu besetzen. Ansonsten habe ich den Text einfach sehr ernst genommen – der ragt doch völlig schräg in die Theaterlandschaft hinein. Und provoziert dadurch Reibung. Ich fände es unsinnig, den Text in einer Badeanstalt spielen zu lassen – oder im Altersheim, wo sich Revolutionäre noch einmal treffen. Das sind so Regieeinfälle ... Gott, ja. Eben Einfälle.

STANDARD: Die gibt es.

Mühe: Gibt es. Ja.

STANDARD: Im "Auftrag" heißt es: "Die Revolution ist die Maske des Todes / Der Tod ist die Maske der Revolution." Mit solchen rätselhaften Spiegelungen ist der Text gespickt. Heutige Generationen kennen das Wort Revolution nur noch aus Zeitgeschichtsbüchern. Was bedeutet es heute?

Mühe: Unsere Demokratien sind unheimlich erfinderisch im Besetzen solcher Wörter mit netteren Begriffen. In Deutschland spricht man jetzt von "bildungsnahen und -fernen Schichten der Bevölkerung". Schon toll, was so erfunden wird, um härtere Begriffe wie Arbeitnehmer und -geber einfach zu ersetzen.

Natürlich klingt das Wort Revolution immer ferner im Nachhall. Das hat ja auch etwas Gutes. Auf der anderen Seite ist die Nichtbeschäftigung mit genau dieser Begrifflichkeit von Nachteil für jede Zivilgesellschaft. Sie wird unterm Deckel gehalten. Das ist okay – wir müssen ja auch zivil miteinander umgehen. Aber Müller meint oft viel weiter reichende Bedeutungen: das Entstehen von Widerstand und Subversion auch innerhalb von solchen Hochkulturen, wie wir sie feiern. Jeder Intellektuelle muss sich doch fragen: Gibt es etwas, wofür sich der volle Einsatz lohnt?

Demokratie ist ein fragiler Begriff, und man muss darauf achten, dass er ernst genommen wird. Das schließt ja nicht nur die Benützung der Wahlkabine ein. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.4.2004)