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foto: apa/techt
Wien - Hans-Peter Martin, der sich zuletzt als Aufdecker der "Spesenritter" im EU-Parlament in die Schlagzeilen gebracht hat, wird nach Informationen des STANDARD als unabhängiger Kandidat bei den Europa-Wahlen am 13. Juni antreten: "Meine Erfahrungen mit Parteiapparatschiks und Funktionärsstrukturen sind mehr als ausreichend", sagte er am Mittwoch im Gespräch mit dieser Zeitung. 1999 war Martin Spitzenkandidat der SPÖ, mit der er sich zerkrachte, als er mit "Spitzelmethoden" anderen EU-Mandataren nachspionierte.

Insbesondere die Kronen Zeitung nahm sich des Abgeordneten an. Deren Unterstützung für Martin könnte im Machtkampf um das Kleinformat eine Rolle spielen. Der deutsche Gesellschafter WAZ hat Herausgeber Hans Dichand mehrfach vorgeworfen, die Unabhängigkeit des Blattes zu verletzen. Sie rief ein Schiedsgericht an, um Dichand abzusetzen. Im STANDARD rechnet Martin mit der SPÖ ab: "Den Sozialisten ist das Unabhängige wesensfremd, das sind einfach nur Parteisoldaten."

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Wien/Brüssel - "Den Sozialisten ist das Unabhängige wesensfremd, auch wenn sie sich heute Sozialdemokraten nennen." Hans-Peter Martin, unabhängiger Abgeordneter im EU-Parlament, ist auf jene Fraktion, die ihn 1999 als Spitzenkandidat der österreichischen Delegation ins Rennen geschickt hat, ganz schlecht zu sprechen. "Mit denen kann man nicht zusammenarbeiten. Ich bin entsetzt über den realen Zustand der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament."

Dass er für die Freiheitlichen antritt, schließt Martin aber aus. Das sei ein "infames Gerücht", und Martin glaubt zu wissen, wer es streut: "Zu verbreiten, dass ich etwas mit den Freiheitlichen am Hut hätte, sagt zusätzlich einiges aus über den wahren Zustand der Sozialisten."

Darling von Bild und Krone

Der ehemalige Journalist ist am Gipfel seiner Popularität, ist zu Gast in etlichen TV- Talkshows in Europa, wird von der BBC begleitet, füllt Zeitungsseiten in England und Irland, ist Darling von Bild und Kronen Zeitung. Am Mittwochabend hatte er wieder einen großen Auftritt bei Günther Jauchs "Stern TV".

Eine neuerliche Kandidatur für das Europaparlament scheint da logisch. "Allerdings nur als Unabhängiger", sagt Martin am Mittwoch zum STANDARD. "Meine Erfahrungen mit Parteiapparatschiks und Funktionärsstrukturen sind mehr als ausreichend." Martin macht darauf aufmerksam, dass er als EU-Bürger auch in einem anderen Land antreten könnte, will aber in Österreich kandidieren.

Gnadenlos

Martin gilt als der Aufdecker, der gnadenlos die Spesenritter im EU-Parlament verfolgt und von seinen Kollegen angefeindet wird, bis hin zu Handgreiflichkeiten. Das steckt er weg. "Persönliche Befindlichkeiten spielen in der Politik keine Rolle", sagt er. "Es gibt sehr viele positive Zuschriften von Leuten, und darauf beziehe ich mich. Ich lebe zum ersten Mal in meinem Leben von Steuergeld und denke, damit verantwortungsvoll umzugehen. Rechenschaft muss ich den Wählern gegenüber ablegen."

Dass er 1999 für die SPÖ angetreten ist, habe er bald als Fehler erkannt. Er habe sich nur deshalb nicht gleich wieder zurückgezogen, weil das Jörg Haider geholfen hätte. "Aus Verantwortung gegenüber der Rolle, die ich damals übernommen habe, bin ich drangeblieben. Allerdings auch mit der Hoffnung und der Erwartung, dass in Brüssel sehr viel anders werden wird. Ich habe dann andere Erfahrungen gemacht."

Sorry, Hans ...

Das bezieht Martin nicht nur auf die österreichischen Abgeordneten. "Ein britischer Labour-Abgeordneter hat vor Abstimmungen immer gesagt ,Sorry, Hans, you know, I have to leave my brain outside.‘ Und das war sehr ernst gemeint. Dann stimmte er entlang der Parteilinie. Es kann doch nicht darum gehen, was Karin Scheele so oft fragte: ,Was ist die Linie?‘"

Die europäischen Sozialisten seien strukturell nicht zukunftsfähig. "Sie sind aufgestellt wie Parteiarmeen und ertragen das Unabhängige überhaupt nicht. Sie haben sich völlig abgeschottet, und die gegenwärtige Liste der SPÖ reflektiert das. Das sind einfach nur Parteisoldaten." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.4.2004)