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Kronzeuge Andrea Venturi verblüfft das Gericht. Ein Anwalt gönnt sich die Frage: "Haben Sie in Österreich weitere Überfälle begangen, von denen wir noch nichts wissen?" Venturi erwidert: "Ja ja, zahlreiche!" - Der Bolognese kann nicht aufhören, sein Gewissen zu erleichtern.

Es ist der fünfte Tag im so genannten Haban-Prozess. Der Geschäftsführer des Nobeljuweliers am Wiener Graben war vor sechs Jahren bei einem Raubüberfall erschossen worden. Nach Irrwegen der Polizei, die der Russenmafia dicht auf den Fersen zu sein glaubte, forschte man drei Italiener aus. Das war Venturis erstes Verdienst in seinem soeben begonnenen neuen Leben. "Früher war ich hart", sagt er. Nach 30 Raubüberfällen wurde er des Schwerverbrechens überdrüssig, legte Beichten ab und verpfiff nebenbei auch seine Landsleute. Die wurden in Bologna später aber im Zweifel freigesprochen. Mit Massimiliano Franzoni, einem mutmaßlichen Mitläufer beim Haban-Raubmord, probiert es ein Wiener Gericht seit einer Woche nochmals.

Verlängerter Arm des Staatsanwalts und Herzstück der Anklage ist wieder Zeuge Venturi. Beim Juwelierraub war er zufällig nicht dabei. Da war er "mit Monica am Meer". Oder war es Livia? Oder Giuliana? "Ich habe mit so vielen Frauen geschlafen", erzählt er den Geschworenen wehmütig.

In Italien verbüßt er derzeit noch eine Light-Version einer in Wien verhängten Strafe von acht Jahren Haft: Untertags hat er meistens frei, die Nächte verbringt er im Gefängnis. Dass er freiwillig zum Prozess nach Österreich gekommen ist, deutet auf dramatische Langeweile hin. Denn die Kärntner Behörden suchen ihn wegen eines Überfalls in Villach. Hat er ihn begangen? "Ja ja, sicher!", erzählt er dem Richter. Solche Worte wecken Beschützerinstinkte. "Eine Verhaftung wird wahrscheinlich nicht infrage kommen", heißt es von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt: Bei einer Mehrzahl strafbarer Handlungen müsse man nicht jede einzelne verfolgen. Und Venturi kann nach eigenen Angaben auf 15 noch nicht geahndete Raube zurückblicken.

Auch aus dem Justizministerium erfährt man, dass der Zeuge in Österreich nichts zu befürchten habe. Er hat sich verpflichtet, am Mittwoch wieder in Bolognas Gefängnis zu nächtigen. Der Prozess geht am Freitag ohne ihn weiter. (DER STANDARD; Printausgabe, 28.4.2004)