STANDARD: Am Cover Ihres jüngsten Buches verheißt ein Slogan für die Titelheldin - Jessica, 30 - "Die Liebe bekommt ihre Chance." Ist das eine optimistische Hoffnung Ihrerseits oder lediglich ein weitere Durchlaufstation für diese junge Frau, die sich eher schlecht als recht als Volontärin und Reporterin durchschlägt?

Marlene Streeruwitz: Also, ich finde es nicht schlimm, wenn jemand eine Art Stabilität in sein Leben bringt, Gefühle konzentrieren kann, Arbeit findet, eine Beschäftigung erhält und Geld. Eine Position in der Welt. Im Grund geht's ja doch darum: Wie kommt jemand in die Gesellschaft, und welche Strategien entwickelt die Gesellschaft, die Leute nicht hineinzulassen?

STANDARD: Da sehen Sie überall prekäre Vorläufigkeiten . . .

Streeruwitz: Ja. Volontariate auf allen Ebenen: im Sex. In den Gefühlen. In den Freundschaften. Im Beruf. Überall muss man freiwillig über lange Zeiträume hinweg etwas liefern, ohne dass es sicher ist, dass man den Dauerjob kriegt. Ich höre das vor allem von jungen Frauen, zum Beispiel in den USA. Ein Jahr Volontariat bei Vogue, und dann kommt die Nächste, und die macht das wieder umsonst, und letztlich kriegen alle keinen Job. Dafür beißt sich Jessica doch ganz anständig durch.

STANDARD: Jessicas "Chance" - sie hat Material gegen einen konservativen Politiker in der Hand: Einerseits hat dieser eine junge Frau gequält, andererseits eine Parteiklausur mit Prostituierten beliefern lassen. Manche Medien werden jetzt rufen: "Skandal!" In jedem Fall kreieren Sie da eine ziemlich räudige Kolportageroman-Situation. Warum?

Streeruwitz: Das ist ja genau der Punkt, dass sich "Realität" und Kolportage überschneiden. Da kann sich die Literaturkritik gleich einmal mit einer Realitätskritik anfreunden. Was finden wir hierzulande vor? Eine politische Klasse, die sich nicht geändert hat. Eine sexualpolitische Situation, die sich ebenfalls nicht geändert hat. Im Gegenteil, sie macht unglaubliche Rückschritte, bis es heißt: "Frauen für Ferrero-Waldner". Da fallen die Errungenschaften der Emanzipation zurück vor alles, was gewesen ist. Und diese Ungleichzeitigkeit ist immer "kitschig". Denken Sie doch nur an den "Kanzlerheurigen" als Punkt, an dem eine politische Klasse sich gibt und auch nimmt - das ist schon alles real. Aber wie!

STANDARD: Nun trägt sich die Heldin immer wieder mit dem Plan "aufzuklären", in jeder Hinsicht. Andererseits wird durch die Textformate, die sie eigentlich schreiben soll, eine gesellschaftliche Analyse weitgehend verhindert.

Streeruwitz: Die, die arbeiten, müssen so viel tun, dass sie keine Zeit für Recherche haben. Und die, die arbeitslos sind, müssen pausenlos herumlaufen, Kurse machen - ein gigantischer Beschäftigungszwang, der Reflexion verunmöglicht. Das Schreiben eines Buches etwa ist heute Luxus. Jessica könnte auch in die Wissenschaft gehen und sie stünde vor denselben Problemen: Kurzanstellungen, Rationalisierung, Job-Hopping als permanente Option ...

STANDARD: ...die den Leuten als Ideal angepriesen wird.

Streeruwitz: Alle Risiken sind an die einzelne Person delegiert. Sie befindet sich permanent in Abhängigkeiten.

STANDARD: Nun haben Sie kürzlich bei der Eröffnung der Diagonale gefordert, diese gesellschaftliche Lage wieder "politisch bearbeitbar" zu machen.

Streeruwitz: An Jessica sieht man, wie das permanent verunmöglicht wird. Sie arbeitet in einem Frauenmagazin, würde etwa gerne die Frage aufwerfen - was ist das heute: Sexualität? Aber nicht einmal hier bzw. gerade hier kommt sie über Textsorten hinaus, die mehr sind als eine Ergänzung und Unterstützung des Inseratenvolumens.

STANDARD: Die "Woman"-Herausgeberin Uschi Fellner sagte kürzlich auch, dass "bei einem Magazin mit über 45 Prozent Anzeigenanteil redaktionell nicht für alle Themen Platz ist".

Streeruwitz: Sehen Sie! Ich beschäftige mich nur wenig mit ihr, habe lediglich drei Ausgaben ihrer Zeitschrift zu Hause. Die habe ich aber quasi als Content in die Handlung eingearbeitet - eine fast journalistische Herangehensweise.

STANDARD: Wie wäre denn das für Sie, wenn "News" jetzt unter dem Titel "STREERUWITZ - DER SKANDAL!" griffige Passagen - den Politiker beim Blowjob zum Beispiel - "vorabdrucken" würde?

Streeruwitz: Ich denke, im Sinne von News würde das nicht funktionieren. Das Buch als innerer Monolog ist so nicht zitierbar, es ist widerständig gegen derartige "Kurzzitate" - die gehetzten, nur durch Beistriche verbundenen Einheiten ergeben keine Passage, die dafür geeignet wäre.

STANDARD: Wer "spricht" denn eigentlich in Ihrem Buch? Man verfolgt zwar den inneren Monolog einer Icherzählerin, das scheint sich aber manchmal mit dem Weltbild der Autorin zu durchmischen.

Streeruwitz: Man könnte es so beschreiben: Ich erfinde eine Autorinstanz, diese erfindet Jessica, und Jessica spricht. Mich erreicht das überhaupt nie. Eigentlich wollte ich das Buch unter dem Namen "Jessica Somner" veröffentlichen. Aber das hat sich irgendwann einmal erübrigt. Ich kann maximal einen Roman im Jahr veröffentlichen, und der verkauft sich vermutlich unter "Streeruwitz" besser.

STANDARD: Was waren die speziellen Anforderungen dieser Schreibweise?

Streeruwitz: Es ist interessant, wie wenig sich versprachlicht, wenn man so in einer Person beim Laufen, Autofahren, bei der Sexszene drinnen bleibt. Empfindungen werden da bestenfalls zu Sprechblasen. Für wirkliche Dialoge ist die Zeit zu kurz. Ich habe mich wirklich in eine 30-Jährige hinein-"gespielt", die Woman liest, Sex and the City schaut ...

STANDARD: So schreibt man wohl ziemlich schnell?

Streeruwitz: Ja, zuerst in einem durch, und dann wird es noch einmal durchgeschrieben. Verbessert wird nichts.

STANDARD: Apropos: Hat sich jetzt für Sie durch die Wahl Heinz Fischers zum Bundespräsidenten etwas gebessert?

Streeruwitz: Blasse Erleichterung ist ausgebrochen. Insgesamt ist es erfreulich, dass beim Vorführen von Britney-Spears-Sissi-lächelt in der Hofburg doch wenigstens nicht wählen gegangen wird. Es muss wohl mehr als Fremdenverkehrsplakatpolitisiererei geboten werden, um Wähler zu motivieren. Für die Frauen ist die Situation noch trauriger geworden, wenn der ehemalige Frauenminister die von ihm gewählte Frau beim Interview "Benito" nennt. Gegen diese Art von Einsteigern sind mir politerfahrene Personen in aller Langeweile lieber. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 27.4.2004)