Wien - Ausländische Drogendealer und Geheimprostituierte rund um den Westbahnhof, Trafiküberfälle und eine Polizeireform, um die explodierende Kriminalität bekämpfen zu können. So präsentierte sich die Bundeshauptstadt Wien - in den Zwanzigerjahren des vergangenen, zwanzigsten Jahrhunderts.

"Es gab immer eine Wellenbewegung bei der Kriminalität in Wien", resümiert Harald Seyrl, Buchautor und Leiter der Kriminalmuseen in Wien und Scharnstein. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa haben der sprunghafte Bevölkerungsanstieg und das Wohlstandsgefälle zu einer Steigerung der Verbrechen geführt.

Taborstraße als Brennpunkt der Kleinkriminalität

So war beispielsweise die Taborstraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk ein Brennpunkt der Kleinkriminalität: Taschen- und Trickdiebstähle nahmen rapide zu, auch damals schon setzte die Exekutive auf Großaktionen. "1912 wurde bei einem Blumenkorso ein Großaufgebot von Polizisten eingesetzt, in den Zeitungen fanden sich danach Bilder aneinander geketteter Diebe auf dem Weg ins Gefängnis", schildert Seyrl.

Auch heute eher ungewöhnliche Verbrechen gab es: etwa den Hundediebstahl. Der Täter kniete auf der Straße nieder, scheinbar um das Schoßhündchen feiner Damen zu streicheln. Dabei schnitt er allerdings mit einer Zange die Leine durch und lief samt Tier davon, um es anschließend zu verkaufen.

Nach dem Ersten Weltkrieg sorgte die katastrophale wirtschaftliche Situation dann wieder für einen Sprung nach oben in der Kriminalstatistik: Überfälle auf Trafiken und Greisler nehmen zu. "Auch Drogen waren ab 1918 immer wieder ein Problem, allerdings nicht in diesem Ausmaß wie heute", weiß Seyrl. Es gab auch Morphiumdealer, viele von ihnen aus China. Ihre Kunden unter anderem: ehemalige Kampfflieger.

Die Staatsmacht reagierte. Zwischen 1922 und 1924 kam es unter Polizeipräsident Johann Schober zu einer großen Polizeireform. Im Gegensatz zur Gegenwart wurde sie aber vom Großteil der Beamten begrüßt. Aus "Polizeiagenten" wurden die Kriminalbeamten, die Mannstärke der Polizei wurde bis Ende der Zwanzigerjahre auf fast 10.000 Mann angehoben. Genützt haben diese Anstrengungen nur bedingt: Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 begann eine neue Form der Kriminalität.

Heißes Kaffeesieden

Auch auf anderem Gebiet, dem Eindämmen der Prostitution, hatte der Staat nur mäßigen Erfolg. Um 1890 herum wurde der "Kaffeesiedererlass" veröffentlicht: Weibliche Bedienung in den Gaststätten wurde verboten, da diese die Sorge um das leibliche Wohl der Gäste angeblich zusehends breiter auslegte. Genützt hat es nichts.

Harald Seyrl und Max Edelbacher arbeiten derzeit an einer mehrbändigen Kriminali tätsgeschichte Wiens im 20. Jahrhundert. "Tatort Wien" soll Ende 2004 erscheinen. (Michael Möseneder; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.04.2004)