Das irakische Sondertribunal, das irgendwann einmal den gestürzten Diktator Saddam Hussein und seine üblen Schergen verurteilen soll, wurde im letzten Dezember gegründet. Doch dann blieb es still um den Gerichtshof, bis der provisorische Regierungsrat dieser Tage sieben Untersuchungsrichter und fünf Ankläger ernannte - und einen Kanzler.

Mit Salem Chalabi, einem Neffen des höchst umstrittenen Politikers Ahmed Chalabi, wird ein Mann in die Position des obersten Managers des Tribunals gehoben, der allein schon aufgrund seiner persönlichen Verstrickungen die Integrität des Gerichts zu beschädigen droht.

Onkel führt irakischen Nationalkongress an

Der junge Chalabi, ein in den USA ausgebildeter Rechtsanwalt, war schon maßgeblich an der Ausarbeitung des im Dezember vorgelegten Statuts des Gerichtshofes beteiligt gewesen. Dies geschah noch weitgehend diskret und dem Blick der Öffentlichkeit entzogen. Seine Hypothek ist vor allem sein Onkel, der den Irakischen Nationalkongress (INC) anführt, im Regierungsrat sitzt und ein langjähriges Intimverhältnis zur Kriegstreiberfraktion im Pentagon um Paul Wolfowitz pflegt.

Chalabis Quellen

Wie man heute weiß, waren die "besten" Beweise für die als Kriegsgrund vorgeschobenen, aber nicht existenten Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins Fabrikationen von angeblichen irakischen "Topquellen", die Chalabi senior der CIA zugeführt hatte. Im heutigen Irak ist Ahmed Chalabi, der seit seinem zwölften Lebensjahr im Exil lebt, durch alle Bevölkerungsschichten hindurch die meistgehasste politische Figur. In Jordanien ist er wegen eines Konkursbetrugs zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Geheimniskrämerische Umstände

Deshalb kann sein Neffe immer noch ein anständiger Mensch sein. Doch die geheimniskrämerischen Umstände seiner Ernennung zum Kanzler und die nachfolgende "Aufarbeitung" durch US-finanzierte Medien in Bagdad lassen nichts Gutes erwarten. Die mit US-Geld gegründete Tageszeitung Al-Sabah brachte ein Interview mit ihm, in dem er als "Präsident" des Sondergerichts tituliert wurde. Einen solchen gibt es aber noch gar nicht.

25 Richter

Laut dem Statut ist der Präsident der Berufungskammer, den die Richter dieser Kammer aus ihren Reihen wählen, zugleich auch Präsident des Gerichtshofs. Doch bislang wurden weder für die Senate noch für die Berufungsinstanz irgendwelche Richter ernannt. In dem Interview verkündete Chalabi auch gleich großspurig seine Pläne: "Wir" werden demnächst 25 Richter ernennen, ebenso 25 bis 30 Staatsanwälte.

Das Statut, das der smarte Chalabi-Neffe mitgestaltete, lehnt sich in Organisationsfragen stark an das des Haager UN-Gerichts für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien an. Hier wie dort ist der Kanzler ein Verwaltungschef, der sich um die Einteilung der Gerichtssäle, das Wohl der auswärtigen Richter, die Zuverlässigkeit der Dolmetscher und den Schutz der Zeugen kümmert. Hinter den Kulissen ist das immer noch eine einflussreiche Position, doch mit der juristischen Substanz des Gerichts hat der Kanzler nichts zu tun - in Bagdad obliegt die Ernennung von Richtern und Anklägern dem Regierungsrat.

"Kasse und Gefängnis"

Der Kanzler des Haager Tribunals, der Niederländer Hans Holthuisen, ist ein Mann, der öffentlich nicht in Erscheinung tritt. Die dröhnende Inaugurierung des jungen Chalabi rief hingegen eine alte Ostblock-Weisheit in Erinnerung: Wer den Schlüssel zur Kasse und den zum Gefängnis besitzt, hat die Macht. (DER STANDARD, Printausgabe 24./25.4.2004)