London/Den Haag/Paris - Zahlreiche Tageszeitungen behandeln am heutigen Donnerstag die Ankündigung des britischen Premierministers Tony Blair, ein Referendum über die EU-Verfassung abzuhalten. Der niederländische "Volkskrant" spricht von einem riskanten Spiel, während die Londoner "Financial Times" vor einer Isolation Londons in der EU warnt. Der Pariser "Le Monde" wirft Blair einen "opportunistischen Reflex" vor, um seine Haut zu retten.

"Volkskrant":

"Was immer man über Tony Blair sagen will - an politischem Mut fehlt es ihm sicherlich nicht. Mit der Ankündigung geht er das größte Risiko ein, seit er 1997 Premierminister wurde. (...) Wenn die von ihm unterstützte Verfassung von der Mehrheit der britischen Wähler abgelehnt wird, bedeutet dies unvermeidlich das Ende seiner Zeit als Premier. Die Chance auf ein solches Ergebnis muss man als groß einschätzen. Die Vorstellung, dass sich auf der anderen Seite des Ärmelkanals eine Welt voll Unverständnis für britische Gebräuche und Institutionen befindet, ist bei den Briten noch weit verbreitet. (...) Vor ein paar Jahren hätte Blairs Prestige ihn wahrscheinlich ausreichend immun gemacht auch gegen Widerstand in den eigenen Reihen. Aber vor allem durch den Irak-Krieg ist seine Position deutlich geschwächt."

"Financial Times":

"Es ist wohl zu gewagt, darauf zu hoffen, dass die Briten jemals begeisterte Europäer werden. Nur wenn sie mit Nein stimmen und damit die Verfassung blockieren, werden sie vielleicht gezwungen, über die totale Isolierung nachzudenken und erneut in sich zu gehen. Das Problem ist nur, dass der Rest der Union vielleicht nicht bereit sein wird, ihnen noch eine Chance zu geben."

"Le Monde":

"Tony Blair ist ein merkwürdiges politisches Tier, manchmal von Vorsicht gezügelt, dann wieder vom Wagemut hinweggetragen und zuweilen besessen von seiner legitimen Überzeugung. Seine zu große Vorsicht hat Großbritannien das so versprochene Rendezvous mit dem Euro bisher verpassen lassen. Seine von Moralismus getragene brennende Gewissheit hat ihn gegen den Willen seiner Wähler in den Krieg im Irak getrieben. Als in die Enge getriebener Spieler, der zu allem bereit ist, um das Heft wieder in die Hand zu bekommen, verleitet ihn seine Kühnheit zu seiner spektakulärsten Wende und seiner riskantesten politischen Wette: den Text der künftigen Europäischen Verfassung über ein Referendum billigen zu lassen. Tony Blair hat weder aus Geschmack an (...) Referenden noch aus plötzlicher Rückkehr einer Leidenschaft für die Wonnen des Palavers über Europa beschlossen, dem (...) britischen Volk zu gegebener Zeit das letzte Wort zu lassen (...). Der Premierminister hat ganz einfach einem opportunistischen Reflex gehorcht."

"La Nouvelle Republique du Centre Ouest" (Tours an der Loire):

"Indem er das Risiko eingeht, die Briten per Referendum über die EU-Verfassung zu befragen, trübt Tony Blair das Wasser des Ärmelkanals. Auf französischem Ufer, versteht sich. Denn dieser Beschluss wird den Elysee-Palast zwingen, eine Wahl zu treffen, die sich als gefährlich erweisen könnte. Jacques Chirac befürchtet nämlich, dass die Franzosen eine solche Volksabstimmung mit einer 'nationalen Wahl' verwechseln könnten (...) Dass sich also aus innenpolitischen Gründen eine Front der Ablehnung bilden könnte - aus Extremisten, rechten und linken Euroskeptikern sowie Gegnern der Regierungspolitik- die das Ergebnis kippen lassen könnte." (APA/dpa)