Weltmusik heute: Nach dem Kuba-Boom und Bemühungen, Afrika zurück auf die Karte zu bringen, stehen derzeit neben rumänischer Blasmusik, "Russendisco" oder "Mzansi" aus Südafrika vor allem multikulturelle Sounds aus Barcelona am Start, die "Raval Sessions".


Wien - Nach dem großen Kuba-Boom Ende der 90er-Jahre im Gefolge der globalen Vermarktung des Buena Vista Social Club seitens des Londoner Labels World Circuit hat sich auf dem Sektor der "World Music" einiges getan. Immerhin musste man sich spätestens nach dem Ableben führender und hochbetagter Vertreter der kubanischen Musik wie Compay Segundo oder Ruben Gonzales und der inflationären Welle weniger herausragender Vertreter zwischen authentischer Vorrevolutionsmusik und gefälliger moderner Salsa bald um neue Länder und Sounds umsehen.

Dies führte unter anderem dazu, dass gerade besagte Firma World Circuit sich die letzten Jahre verstärkt, aber nur mäßig erfolgreich um das bis dato weitgehend unbeachtete afrikanische Land Mali und dessen Nachbarn bemühte. Zwischen Ali Farka Touré, dem "Blues der Wüste" ("Desert Blues") und modernem HipHop aus dem senegalesischen Dakar ("Africa Raps") wollte das Unterfangen trotz teilweise erstaunlicher Ergebnisse allerdings nicht so recht in die Gänge kommen.

Pariser und deutsche Musikmanager brachten parallel dazu wilde, durchgedrehte Blasmusik bulgarischer und rumänischer Roma wie etwa die Fanfare Ciocarla an den Start. Eine im westlichen Europa und bis nach Japan mittlerweile auch dank Dancefloor-Aufbereitungen des Frankfurters Stefan Hantel alias DJ Shantel im "Bucovina Club" bestimmende Nische der Weltmusik. Weltweit wird dieser "Club" als neueste Sensation "authentischer", "ehrlicher", "kraftvoller" Volksmusik herumgereicht, die uns in den hoch entwickelten Industrieländern längst verloren gegangen scheint.

Dass allerdings gerade in der angesichts der gern unterstellten "Wahrhaftigkeit" der Dritten Welt vom westlichen Zielpublikum gar nicht so geschätzten Brechung und Bastardisierung von Volksmusik immer die interessantesten Ergebnisse zu finden sind, beweist jetzt in der Frühjahrssaison unter anderen das Münchner Trikont-Label mit zwei CD-Produktionen. Die könnten unterschiedlicher nicht sein. Ganz abgesehen davon, dass London seit Jahren zu einer bizarren Mischung aus indischen Melodien und westlichen Beats namens Bhangra tanzt. Siehe auch den Welthit von Panjabi MC, Mundian To Bach Ke.

Immerhin hat man es bei Russensoul, der Folgeveranstaltung von Russendisko, mit einem weiteren, vom Berliner Exilrussen, dem Schriftsteller Wladimir Kaminer (Militärmusik, Mein deutsches Dschungelbuch . . .) kompilierten Kuckucksei zu tun.

Wodka & Weltschmerz

Auch Russensoul präsentiert jetzt wieder diverse russische Bands, die lokale Volksmusiken mit globalen Sounds zwischen Reggae, Soul und Rock verbinden. Dazu wird ordentlich mit Wodka, Weltschmerz und manisch-depressiven Schüben nachgegossen. Zumindest im deutschen Sprachraum reift hier seit zwei, drei Jahren ein neuer Ballermann-Soundtrack für Menschen mit Matura heran.

Mit am zukunftsträchtigsten gilt in diesem Genre, das immer auch ein wenig auf Phänomene wie den Exotismus oder den postkolonialistischen Kulturimperialismus setzt, mit Sicherheit der ebenfalls gerade veröffentlichte Trikont-Sampler Mzansi Music - Young Urban South Africa. Schwarze Underground-Künstler verbinden hier afrikanische Ethnomusik mit House oder HipHop zu einer scharf angebratenen Mixtur, die trotz aller postmodernen Brechungen am Mischpult eine Unmittelbarkeit und Rohheit aufweist, die in der Szene ihresgleichen sucht.

Für unsere Ohren am verträglichsten und auch künstlerisch am ausgereiftesten: Das spanische Label Satellite K hat jetzt nicht nur das neue Album der katalanischen Flamenco-Bilderstürmer Ojo de Brujo namens Bari auf den Markt gebracht. Hier werden klassische Flamencogitarren und -gesang auf bis dato ungehörten Kollisionskurs mit DJ Panko und dessen Vinyl-Scratchings gebracht.

Das von der internationalen Kritik allgemein als "neues Mekka der Weltmusik" gefeierte, heruntergekommene Altstadt- und klassische Einwandererviertel von Barcelona namens Raval gilt spätestens seit dem Wahlkatalanen Manu Chao und dessen Welterfolg mit Clandestino aus 1998 als absoluter "Hotspot". Und tatsächlich lässt sich hier im historisch über Jahrhunderte gewachsenen ethnischen Gewirr eine vitale Musik finden, in der alles möglich ist.

Mittelmeer und Maghreb, Afrika und Lateinamerika, Römer, Westgoten, Mauren, Franken und Roma. Flamenco, Reggae, Rock, algerischer Rai-Pop, afrikanische Polyrhythmik, internationaler Dancefloor sämtlicher Schubladen: Sie alle haben in der lokal agierenden, aber global ausgerichteten Musikszene tiefe Spuren hinterlassen.

Insgesamt 32 Bands und Künstler demonstrieren atemberaubend, dass die Zukunft nur in der so genannten Überfremdung stattfinden kann. Allein die Gruppe Kurdistani mit ihrem Beitrag Baghdad Rai beweist, dass multikulturelle Beats langfristig mehr bewirken als Bomben. Völkerverständigung auf engstem Raum. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.4.2004)