Eine, die sich erinnert - etwa an die Arbeiteraufmärsche der 30er-Jahre: "Das wirst du nie verstehen."

Foto: Sixpack
Wien - Irgendwann sitzen einander drei alte Damen bei Kaffee und Kuchen gegenüber. Es wird geredet. Es wird nicht viel gesagt. Ein typisches Familientreffen eben. Eine Standardsituation - und als solche Teil eines Films, der Strategien des Sprechens und Schweigens, des Erinnerns und Verdrängens untersucht:

Nach Aufführungen im Rahmen der Viennale und der Diagonale kommt Anja Salomonwitz' Dokumentarfilm Das wirst du nie verstehen nun immerhin in Wien auch regulär ins Kino. Der Satz, der den Titel gibt, fällt im Film ganz zum Schluss. Und den ganzen Film über wird diese unverrückbare Aussage sozusagen implizit umkreist. Allerdings ohne je nur einfach das Gegenteil zu behaupten.

Was es zu verstehen gälte, ist ein Stück Geschichte des 20. Jahrhunderts, eingeschrieben und nun wieder abgerufen auf der Ebene eines familiären Mikrokosmos. Die drei Protagonistinnen des Films sind die drei "Großmütter" der Regisseurin, drei Angehörige der Kriegsgeneration. Ihre Erinnerungen an den Nationalsozialismus, den sie als junge Frauen erlebten, sind nicht teilbar:

Die Großtante hat Auschwitz überlebt und will nicht sprechen über das, "was man nicht vergessen kann". Die "Tante", bekennende Sozialistin, erinnert die eigene Ohnmacht angesichts von Judentransporten und sagt "aber freilich hat man's gewusst". Die Großmutter schließlich verstrickt sich zwischen "weiß ich nicht mehr" und "das weiß ich so genau wie nur was" in beredte (und nur zu vertraute) Widersprüche.

Mehrfach gesichert

Der Film fasst die Gespräche mit den einzelnen Frauen, die einzelnen Besuche der Filmemacherin in ruhige, statische Einstellungen. Zum einen wird dabei jeweils ein Stück weit Einblick gegeben in die jeweiligen gegenwärtigen Lebensverhältnisse. In kleinen Handgriffen, Alltagssituationen werden die auf der Tonebene merklichen Unterschiede vorsichtig ins Bild gesetzt - etwa, wenn die Großtante zu Beginn umständlich ihre mehrfach gesicherte Wohnungstür öffnet.

Zum anderen hat Salomonowitz, die an der Wiener Filmakademie studiert und mit Das wirst du nie verstehen ihr Langfilmdebüt vorstellt, aktiv in die (Selbst-)Darstellung eingegriffen: Weiß dominiert - im Hintergrund, in Form von Kleidungsstücken - beständig ihren Film, setzt nüchterne Akzente.

Dieser Verfremdungseffekt erlaubt die Überführung in einen Zusammenhang, der über individuelle Biographien hinausweist. Das wirst du nie verstehen unternimmt auch eine Auseinandersetzung mit dem dokumentarischen Darstellungsrepertoire und mit den "Sprachregelungen" der Zeitzeugenschaft, die einander wechselseitig bestimmen.

Kommende Woche wird Salomonowitz' Film übrigens mit einer anderen, verwandten Arbeit zusammengebracht: Im Rahmen der Reihe "Geteilte Geschichte - Bedeutung/en der Shoah im Leben der Nachkommen von TäterInnen und Überlebenden" zeigen Jo Schmeiser und Katarina Streiff in Kinokis Mikrokino Mein Leben, Teil 2 von der Berliner Filmemacherin Angelika Levi.

Wie in Das wirst du nie verstehen wird auch hier Autobiographie und Zeitgeschichte auf eigenwillige, überzeugende Weise verknüpft, wird eine Erbe angetreten. Levis Film ist die Auseinandersetzung mit den von der verstorbenen Mutter angelegten, verzweigten Erinnerungsarchiven. Auch Salomonowitz' Arbeit begreift die Erinnerung als eine "Lebensnotwendigkeit", mit allen ihren Schwierigkeiten. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.4.2004)