Roland Rainer.
Das Werk des Architekten 1927-2003. Vom Sessel zum Stadtraum: Geplant errichtet verändert vernichtet. € 49,80/256 Seiten. Springer, Wien 2003.

Foto: Springer-Verlag
Foto: Springer-Verlag

Ein Buch wie aus den Zeiten, als die Kathedralen schwarzweiß waren: Roland Rainer sparte mit Farbe, nicht mit Temperament.

Foto: Springer-Verlag
Bücher zu machen, war ihm so vertraut wie die Arbeiten auf einer Baustelle. Nur musste der vor einer Woche verstorbene Architekt Roland Rainer beim Bauen schweren Herzens delegieren, während er sich bei seinen Büchern nichts, wirklich gar nichts aus der Hand nehmen ließ. Das ganze Jahr 2003 hindurch arbeitete der 93-Jährige mit Hochdruck an einem letzten Buch, das nun vom Umschlag bis zur letzten Seite seine Handschrift trägt. Der Untertitel ist das lakonische Fazit eines langen Architektenlebens: Geplant errichtet verändert vernichtet.

Jede Bildunterschrift, alle Projektbeschreibungen, die Auswahl und Zusammenstellung der Fotos - alles wurde von ihm selbst geschrieben, diktiert, entworfen. Der Springer Verlag legte unzählige Aus- und Andrucke vor, bis auch bei der Bildbearbeitung das gewünschte Ergebnis erreicht wurde. Fotografiert hatte Rainer seine Bauten ohnehin meist selbst, da er dem Blick professioneller Fotografen misstraute.

Die Bücher gingen seiner Architektur voraus. 1935 promoviert Roland Rainer mit einer Arbeit über den Wiener Karlsplatz. Es folgt ein Aufenthalt an der Deutschen Akademie für Städtebau, Reichs- und Landesplanung in Berlin, wo zwei Forschungsarbeiten entstehen, die für sein weiteres Werk die Richtung vorgeben: Die zweckmäßige Hausform (1944) und Die gegliederte und aufgelockerte Stadt (1944, erschienen 1957) sind Plädoyers für das Einfamilien-Reihenhaus als kompakteste und technisch sinnvollste Bauweise. Dass seine Studien in einem ideologisch stark aufgeladenen Umfeld entstanden und im Zusammenhang von "volksbiologischen Anforderungen" weitergereicht wurden, mag ihn im Nachhinein gegen autoritäre Gesten immunisiert haben. Das Hochhaus als Macht- und Spekulationsobjekt verachtete er. "Ja, der Rainer ist der Häuslbauer", zitierte er selbst lachend das Etikett, das ihm Kollegen aufgeklebt hatten.

Man könnte auch sagen: Rainer war bereits ein fertiger Architekt, als er in den ersten Nachkriegsjahren zu bauen begann. Das Fundament hatte er in seinen Schriften errichtet. Aber er publizierte weiter. Bei anonymen Bauten im Burgenland, im Iran und in China fand er über Generationen gewachsene Belege für die "verdichtete Flachbauweise", die seine Siedlungen prägte.

Doch Roland Rainer war alles andere als ein "Häuslbauer". Fast sämtliche seiner Arbeiten kreisen um die Frage, wie das Zusammentreffen vieler Menschen so organisiert werden kann, dass der Einzelne keinen Schaden nimmt. Städtebau unter den Bedingungen des Automobilzeitalters war eine noch junge Disziplin, als Rainer 1958 das Wiener Stadtplanungsamt übernahm und 1963 unter Protest wieder verließ, weil die Widerstände aus Politik und Verwaltung seine Entwürfe zum Scheitern brachten. Seither galt Rainer als unbeugsamer Kämpfer für eine menschliche Moderne. Warum, fragt Rainer in einem seiner vielen Texte, kann auch ein technisch hochkomplexes Gebilde wie die ORF-Zentrale auf dem Küniglberg (1968-76) nicht so einfach funktionieren wie eine Stube mit einem Kachelofen? Seine Bauten sind Lehrstücke über den manchmal verzweifelten Versuch, den Architekturmaschinen der zweiten Jahrhunderthälfte die haptischen Qualitäten eines guten Werkzeugs zu geben, das der Benutzer sofort versteht.

Die von vielen Architekten der Moderne bewunderte Gotik mit ihren unmittelbar einleuchtenden statischen Prinzipien erhält in Rainers letztem Buch einen besonderen Platz. Nur ein einziges Foto zeigt nicht Rainers eigene Bauten, sondern ein gotisches Strebewerk. Rainer stellt die dramatische Abbildung den Pylonen seiner Bremer Stadthalle gegenüber. Zwischen 1961 und 1964 entstanden, seither verändert und in ihrer kühnen Reinheit vernichtet zählt die Halle zu Rainers "idealsten" Konstruktionen. Das hängende Dach besteht aus einer dünnen Betonschale und ist wie ein Baldachin zwischen den schrägen Außenträgern aufgehängt. Zug- und Druckkräfte bilden ein kühnes, trotz seiner gewaltigen Dimensionen aber spielerisch-anschauliches System.

Was auch immer den Bauten Roland Rainers in Zukunft widerfahren wird: Das Buch ist ein Bild- und Textmanifest ersten Ranges, kein Architektur-, sondern ein großes Architektenbuch. Hinter der unzeitgemäß trockenen Gestaltung brodelt das Leben, dem Rainer die Lebendigkeit immer belassen hat. (ALBUM, DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.4.2004)