Wenn etwas die baltischen Staaten verbindet, dann dies: Im Design sind sie alle von einer stark künstlerischen Tradition geprägt, die sich vor allem in Bereichen wie Glas, Keramik oder Schmuck finden lässt. Und sie alle haben enge Verbindungen zu Skandinavien, allen voran Dänemark und Finnland. Zu Zeiten der Sowjetunion fand in Estland, Lettland und Litauen Industrie-oder Produktdesign kaum statt, gleichzeitig gehörten für angehende Gestalter die klassische Ausbildung in Malerei und Handwerk, wie etwa an der Kunstakademie Vilnius,in Litauen, einfach dazu.

Gerade in Litauen war Glasdesign Schwerpunkt der lokalen Industrie, doch mittlerweile haben die meisten Firmen zugesperrt oder aber entwickeln kein eigenes Design mehr, sondern übernehmen es aus dem Ausland. "Unser größtes Problem ist die mangelnde Unterstützung durch den Staat", sagt Jonas Malinauskas, Redakteur bei Centras, Litauens einzigem Magazin, das über Lifestyle, Architektur und Design berichtet. "Dennoch hat sich insbesondere im Möbeldesign eine Menge entwickelt. Es gibt viele große und kleine Pläne, und auf jeden Fall können wir auf hohem europäischem Standard produzieren."

Dass dies funktioniert, zeigen Möbelfirmen wie Narbutas & Co, die Stühle und Sofas nach Deutschland, Dänemark, Großbritannien und auch nach Japan und die USA exportieren. Oder die Firma Gurda, die sich eine eigene Designabteilung leistet. Weil aber gleichzeitig eine Möbelmacht wie Ikea vor Ort ist und die riesigen Betriebsanlagen der alt eingesessenen Vilnius Furniture Factory nutzt, ist Litauens Exportschlager das Ikea-Regal "Billy". "Es gibt keine lokalen Arbeitgeber, die Möglichkeiten im Industriedesign, etwa für Elektronikgeräte, anbieten könnten. Und Unternehmen aus dem Ausland werden sich kaum an Litauen orientieren, weil der Markt hier einfach zu klein ist", erklärt Malinauskas das Dilemma junger Designer.

Nur Trübsal blasen will aber auch Malinauskas nicht: "Das Potenzial litauischen Designs sehe ich bei Alltagsprodukten, die eng mit den angewandten Künsten verknüpft sind, also Möbel-, Leder- und Textildesign." Der 28-jährige Möbeldesigner Vytautas Puzeras ist ein - rares - Beispiel für eine beachtenswerte Karriere im Industriedesign. Aber gleichzeitig ist er Beispiel dafür, dass sich das Land mit der Unterstützung für Design noch schwer tut: Puzeras kooperiert zwar mit einheimischen Firmen, lebt und arbeitet aber in Barcelona.

Die Designszene, stets darauf bedacht, auf ökonomische und kulturelle Veränderungen zu reagieren, verändert sich schnell. Bei aller Flexibilität und dem Willen zur europäischen Integration, ihr nationales Erbe werden die Litauer nicht aufgeben, ist sich Malinauskas sicher: "Schon während der Jahre der sowjetischen Besetzung haben wir unseren spezifischen klaren und rationalen Designstil aufrechterhalten. Dennoch sind viele Litauer nach wie vor stark am dekorativen russischen Stil orientiert, der sozialistischen Eklektizismus mit byzantinischer Dekoration mixt", bedauert Malinauskas.

Ähnliche Probleme plagen auch die Kollegen in Estland. Das Land, das sich in Sachen Hightech-Multimedia zwar auf hohem Standard bewegt, tut sich schwer damit, die Notwendigkeit von Design anzuerkennen. Weil die Firmen nicht in Design investieren, verlangen sie nicht nach Design. Und weil sie nicht nach Design verlangen, investieren sie nicht in Design - so lautet das simple Fazit eines 100 Seiten starken Gutachtens des dänischen "Mollerup Designlab" über den Status quo in Estland.

Marin Pärn, Professor an der Kunsthochschule in Tallinn und Vorsitzender des estnischen Designerverbands, hofft, dass das Wirtschaftsministerium auf diese qualifizierte Designstudie auch reagiert: "Bislang hieß es von der Regierung nur, tolle Studie, aber jetzt müssen wir die erst einmal prüfen." Immerhin gab es mit einer großen Ausstellung über estnisches Design vor vier Jahren in Helsinki eine erste größere Schau im Ausland, der zwei weitere folgten, und estnische Designer waren auch bei der Designbiennale im französischen St. Etienne vertreten. Pärn selbst entwirft Möbel, vor allem für Büros, darunter den Tisch "Martin", der 1998 immerhin den red dot Award "Best of the Best" im Produktdesign abräumte. Da war Pärn gerade 26 Jahre alt. Andere Junge wie Tarmo Luisk oder Sven Sõrmus haben sich auf Licht- bzw. Baddesign spezialisiert und sind einige der wenigen, die sich trotz widriger Bedingungen zu etablieren versuchen.

Schlag auf Schlag geht es hingegen in Lettland: Wie Pilze aus dem Boden schießen hier die Institutionen, die dem Design den Boden bereiten wollen. Waren die Letten in der Sowjetzeit sehr stark im Industriedesign und entwickelten Flugzeuge, Motorräder und Verbrauchsgüter, hat sich das Blatt nun gewendet. Organisationen wie der "Design-Inkubator" oder das erst ein Monat alte Designinformationszentrum (DIC) in Riga versuchen, der trägen lettischen Designervereinigung Dampf zu machen: "Seit zehn Jahren passiert bei denen nichts Besonderes", sagt Daina Vitolina, Direktorin des DIC. "Bei uns hingegen stehen neue Ideen ganz oben auf der Agenda."

Das DIC will für das nächste, spätestens übernächste Jahr ein Designfestival organisieren, dafür kooperiert es mit den beiden Ausbildungsstätten, der Rigaer Schule für Kunst und Design sowie der Lettischen Kunstakademie. Hauptproblem auch hier wie in den andern baltischen Staaten: Die Firmen sperren sich regelrecht gegen Design, sehen es als Verschwendung von Zeit und Geld. Wirklich erfolgreich im Produktdesign sind nur zwei oder drei lettische Möbelfirmen, gleichwohl ignorieren sie das Potenzial einheimischer Kräfte: "Häufig stellen diese Firmen dänische oder schwedische Designer ein", sagt Vitolina und meint weiter: "Aber das wird sich ändern!" (DERSTANDARD/rondo/Mareike Müller/16/04/04)
Infos zu Litauen: puzero.lt; zu Estland: artun.ee; zu Lettland: rdm.lv