Bin Laden hat einen Sinn für den richtigen Zeitpunkt. Sein absurdes Angebot an die Europäer für einen "Waffenstillstand" - sollte es tatsächlich von ihm selbst und nicht von einem seiner nacheifernden Gefolgsleuten stammen - erfasst sehr genau den Wendepunkt, an dem das Irak-Abenteuer der amerikanischen Regierung heute steht.

Nicht dass irgendjemand in Europa ernsthaft erwägen könnte, künftige Terroranschläge von Al-Kaida durch Beschwichtigungsgesten abzuwenden. Die Antworten aus Berlin, London und Rom waren klar, das Beispiel des neuen spanischen Premierministers José Luis Rodríguez Zapatero ist dabei aufschlussreich. Dass Zapatero ausgerechnet während der jetzt laufenden Kämpfe im Südirak die 1300 spanischen Soldaten abziehen könnte - wie er vor dem Aufstand der Schiiten und Sunniten noch angekündigt hatte -, ist politisch unmöglich. Zapatero wird warten, und er wird gemeinsam mit anderen schwankend gewordenen oder den Irakkrieg von Beginn an ablehnenden EU-Regierungen auf neue Spielregeln hinarbeiten.

Denn die Rückschläge der US-Armee, die Schwäche des Präsidenten und die Zweifel der Europäer legen jetzt die Grundlage für eine viel entscheidendere Rolle der UNO im Irak. Ganz anders, als Bin Ladens Angebot an die Europäer und die gleichzeitige Serie der Geiselnahmen suggerieren mögen, droht nicht die große Spaltung der "Antiterrorkoalition": Ein Rückzug der Europäer aus dem Irak ist mittlerweile undenkbar, ein Verzicht der Amerikaner auf ihre alleinigen Besatzerrechte sehr wohl aber vorstellbar. Bushs Koalitionäre im Irak zahlen mit den Entführungen und nun auch mit der Ermordung einer Geisel den Preis für den Krieg der US-Regierung. An den "Augen zu und durch"-Kurs des wahlkämpfenden Präsidenten sind sie gefesselt. Genau deshalb werden die Europäer eine Neuverteilung der Karten im Irak durchsetzen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.4.2004)