Gut möglich, dass wir Zeugen - und Ausgelieferte - einer Tragödie sind, die von einem ideologisch verbohrten und weltblinden US-Präsidenten in Gang gesetzt wurde. Mittlerweile ist klar, dass George W. Bush über fixe Vorstellungen von der Welt verfügt, die für sich genommen nicht einmal so falsch sind, deren Umsetzung er und seine Berater aber so leichtfertig, ideologiebesessen und lernunwillig angehen, dass man das Schlimmste befürchten muss.

Das Schlimmste ist, wenn im Irak für Jahre ein blutiges Chaos anhält, das von US-Truppen mit immer massiveren Mitteln und immer größeren Opfern für die Zivilbevölkerung bekämpft wird, ohne irgendein positives Ergebnis zu erreichen. Das Schlimmste ist, wenn die USA im Irak de facto verlieren - ohne direkt aus dem Land getrieben zu werden, aber auch ohne überzeugende Erfolge bei der Herstellung lebenswerter Bedingungen; wenn sich dann alle Radikalen und Fanatiker und Todesverliebten des arabisch-islamischen Raumes ermuntert fühlen, den Dschihad gegen die USA, den Westen mit noch glühenderem Eifer anzugehen; das Schlimmste ist, wenn die Wahnsinnsentscheidung von Bush, die Annexion von Teilen des Westjordanlandes und die Aufrechterhaltung eines Besatzungsregimes im Rest "auf ewige Zeiten" (Sharon) gutzuheißen, nun auch den letzten Palästinenser und den letzten gemäßigten Bewohner des "Weiteren Nahen Ostens" davon überzeugt, dass es keinen Sinn hat, auf eine Verhandlungslösung zu hoffen.

Das Schlimmste ist ein Fiasko im Irak bzw. im "Weiteren Nahen Osten", dessen Reform hin zu Demokratie und Marktwirtschaft die Bushies als große Strategie ausgedacht haben. Das Schlimmste ist, wenn Bush und die Seinen so weitermachen (können) wie bisher.

Im Irak von heute gibt es immer noch nicht genügend Strom und Wasser, dafür kann sich kaum eine Frau auf die Straße trauen, das US-Militär kann oder eher will nicht für die öffentliche Sicherheit sorgen, bekämpft aber Heckenschützen im dicht verbauten Stadtgebiet mit 500-Kilo-Bomben. Bei dieser Art der Kriegsführung muss es zwangsläufig zu hohen Verlusten unter der Zivilbevölkerung kommen. Eine ideale Methode, um die "hearts and minds" der Iraker zu gewinnen. Dieser Begriff stammt übrigens aus dem Vietnamkrieg. Soeben ist ein Buch erschienen (Vorabdruck in der Zeit), das sich auf Aufzeichnungen des demokratischen Präsidentschaftskandidaten John F. Kerry aus Vietnam stützt. Seine Aufgabe als Kommandant eines Flussschnellbootes war es de facto, das Feuer des Vietcong auf sich zu ziehen, damit Luftwaffe und Artillerie die Gegend in eine Feuerhölle verwandeln konnten. Kerry berichtet, wie sein Boot auf einen vietnamesischen Sampan "losballerte" und er nachher die Leiche eines Kindes fand.

Man kann eine Guerilla rein militärisch besiegen, aber nur mit ungeheurer Brutalität und, letztlich, nicht ohne Inkaufnahme eigener Kriegsverbrechen. Selbst wenn man einen gerechten Krieg führt, gibt es unweigerlich unschuldige Opfer. In einem dubiosen Krieg sind sie unerträglich.

Ein US-Präsident (oder jeder andere vergleichbare Entscheidungsträger) muss imstande sein, Entscheidungen zu treffen, in dem Wissen, dass sie zu unschuldigen Opfern führen können. Der Irakkrieg wäre nachträglich zu rechtfertigen gewesen, wenn man Bush dort und im "Weiteren Nahen Osten" eine wirkliche Wende zum Besseren zutrauen könnte. Aber für dieses Vertrauen gibt es keine Grundlage. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.4.2004)