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Die Ruinen von Karthago

Foto: Archiv
Die Restaurant-Bauchtänzerin tritt an diesem Abend gleich mehrmals auf. Immer mit der gleichen Musik. Das, seufzt Khaled Sassi, sei bezeichnend. "Wer nach Tunesien fährt, weiß vorher, dass genau das kommt", räsoniert der Reiseführer, "und weil wir zu selten ein anderes Bild vermittelt haben, kommen die, die sich für Kultur oder Geschichte interessieren, oft gar nicht."

Der studierte (Spezialgebiet: Geschichte des Mittelmeerraumes) Guide stimmt ausgerechnet in einem Hotel nahe der Touristenhochburg Sousse sein Klagelied an. An manchen Orten sei "jeder Baum gefällt worden, um Hotels zu bauen". Ein Lied, das an jedem vom Massentourismus geprägten Ort passt.

Hauptsächlich Klub-Tourismus

Das, was Tunesien ausmache, sehe kaum ein Besucher, meint Sassi - und findet das schade. Weil er stolz auf sein Land ist. Stolz auf Geschichte, Bauten, Traditionen. Aber, erklärt Mehdi Fahrhat, Vizedirektor des tunesischen Fremdenverkehrsamtes in Österreich, fast 80 Prozent der Urlauber fahren eben in Klubs.

Bis am 11. April eine Bombe vor der Al-Ghriba-Synagoge von Djerba 21 Menschen (darunter 14 Touristen) in den Tod riss, kamen jährlich 130.000 Österreicher. 2003 waren es dann 70.000. Bei Deutschen und Briten sieht der Absturz ähnlich aus. Sicher: Um die Gäste zurückzuholen, erwähnt man da gerne dezente und doch effiziente Sicherheitsvorkehrungen. Aber Tunesiens Touristiker entdecken auch die Schönheit des eigenen (Hinter-)Landes wieder. Und erinnern sich, dass historischen Stätten das Etikett "Unesco Weltkulturerbe" nicht zufällig in den Schoß gefallen ist. In Kairouan etwa, nach Mekka, Medina und Jerusalem die vierte heilige Stadt der Muslime.

Die im 7. Jahrhundert nach Christi gegründete erste arabische Stadt Afrikas wird jährlich von einer Million muslimischer Pilger besucht. Schließlich heißt es, dass sieben Wallfahrten in die große Moschee mit ihren 400 Säulen, prachtvoll geschnitzten Holztoren und in die Anlage integriertem - nach 900 Jahren noch immer funktionierendem - Wassersammel- und -filtersystem so viel wert seien wie ein Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka.

El Jem

Nicht einmal eine Stunde weiter südlich wächst dann die Silhouette eines römischen Amphitheaters über den flachen Horizont: Inmitten recht unansehnlicher, meist einstöckiger Häuser steht hier ein Amphitheater, das in seiner Glanzzeit mehr als 35.000 Zusehern Platz bot: El Jem. Der kleine Flecken bekam von der Unesco bereits 1979 jenes Weltkulturerbe-Prädikat verliehen, das der Wiener Innenstadt erst im Vorjahr zugesprochen wurde.

El Jem war zur Glanzzeit des römischen Imperiums das Zentrum eines der größten und fruchtbarsten Olivenanbaugebiete: Mit 148 Metern Länge zeugt die einst als "afrikanisches Kolosseum" berühmte Arena von Reichtum und Ruhm vergangener Zeiten - und ging mit dem Imperium Romanum unter.

Römerstadt Thugga

Ebenso wie die Römerstadt Thugga (arabisch: Dougga; Unesco-Ernennung 1997). Strategisch günstig auf einem Hügel situiert, wurde von hier aus die wichtigste Ost-West-Straße Nordafrikas kontrolliert. Im Gegensatz zu anderen römischen Städten (der Hügel wurde später nicht mehr besiedelt) ist in Dougga die Struktur der Stadt erhalten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben zudem französische Forscher Tempel, aber auch profane Bauten ausgegraben und restauriert.

"Allein hier", sagt Khaled Sassi, "könnte man mehrere Tage lang Geschichtliches anschauen - und entdecken, dass das erst der Anfang ist." Freilich: Langes Ruinenwandern würde man man keinem Touristen zumuten wollen. Nicht in der Hauptsaison. Schließlich würde sogar der geschichts-und kulturaffine Sassi tagsüber nur ungern mit dem Auto stundenlang über Land fahren. Aber die schönste Zeit, das Land zu bereisen, sei ohnehin "jetzt, im Frühjahr". Nicht nur wegen der Temperaturen, sondern auch wegen der Farben: Alles blüht. Und statt auf staubig-gelb besandete Trümmer schweift der Blick über sattgrüne Wiesen und bunte Blütenteppiche.

Ruinen von Karthago

Das gilt auch für die Ruinen von Karthago. Obwohl man das - bedingt durch die zeitliche Positionierung der europäischen Hauptreisezeiten - auf kaum einem Schnappschuss je sieht. Und der Souk von Sousse (Unesco Ernennung 1988) bietet wenig Chancen, das Blühen und Leuchten der Natur zu zeigen: Khaled Sassi erzählt über die Geschichte des überdachten Basars, über seine teilweise Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und den Wiederaufbau danach.

Und zeigt dann jene etwas versteckten Ecken des Basars, an denen es nicht nur importierte Wasserpfeifen aus Plastik, Plüschkamele aus China, gefälschte Nike-Schuhen aus Kinderhand und anderen globalen Ramsch gibt: Gewürze, Handwerksarbeiten oder einfach Perspektiven auf die alte Stadt, die man nicht schon kennt, bevor das Wort "Tunesien" zu Ende gesprochen ist. Khaled Sassi lächelt. Er ist stolz, dass es dieses andere Bild doch gibt - und dass es Menschen gibt, die es auch sehen wollen. (Der Standard/rondo/16/04/2004)