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Schwer bewaffnete Polizeitruppen patrouillieren Townships im südafrikanischen Richmont.
Neben Armut und Aids ist die damit verbundene Gewaltkriminalität, vor allem in den Townships, ein Hauptproblem am Kap. Südafrika zählt noch immer zu den Ländern mit der höchsten Gewaltkriminalitätsrate der Welt. Obwohl seit Beginn der 90er- Jahre fortlaufend mehr Mittel für die Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung gestellt wurden, hatte das nicht automatisch einen Rückgang der Kriminalität auf allen Ebenen zur Folge: Mord, Gewaltverbrechen, Eigentumsdelikte und Betrug nahmen seit Mitte der 90er-Jahre ab; Sexualverbrechen und Raubüberfälle haben hingegen zugenommen.

Foto: Reuters/Str
Die Geschichten ähneln sich. Aber nicht immer gehen sie so glimpflich aus wie bei Clare Weightman und Kenneth Fyte. Das junge Kapstädter Paar wurde von zwei bewaffneten Räubern angegriffen, als Kenneth den Wagen abends um zehn auf dem Parkplatz vor der Wohnung abstellte. "Her mit den Schlüsseln", brüllte der eine und drückte eine Pistole an die Schläfe des 24-Jährigen. Der andere bedrohte Clare auf der Beifahrerseite und verlangte ihre Handtasche. Die beiden wehrten sich, was man eigentlich nicht tun sollte, weil man sonst sein Leben riskiert. Irgendwie konnten sie die Täter in die Flucht schlagen. Jeden Tag kann man Geschichten wie diese in der Zeitung lesen. Denn Überfälle auf Autofahrer haben in letzter Zeit stark zugenommen - es ist die neueste Variante krimineller Gewalt in Südafrika. Die Angreifer attackieren im Stau, an der roten Ampel, schlagen in Sekundenschnelle das Fenster ein und greifen sich Handtaschen und Handys. Oder sie warten in abgeschiedenen Straßen der Wohnviertel und zwingen Autofahrer mit Messern und Pistolen, ihnen das Fahrzeug zu überlassen. "Schalten Sie schon zwei Kilometer vor Ihrem Haus das Autoradio aus und konzentrieren Sie sich ganz auf Ihre Umgebung", warnt das örtliche Sicherheitsministerium die Bürger, "achten Sie auf fremde Fahrzeuge, die Ihnen folgen, und auf unbekannte Personen in der Nähe Ihrer Einfahrt. Seien Sie auf der Hut, wenn Ihr Hund nicht an der Haustür bellt. Einbrecher könnten ihn überwältigt haben." Besonders der Freitagabend sei gefährlich, da geschehen im ganzen Land über 600 solcher Überfälle, dicht gefolgt vom Dienstag mit 500 Überfällen auf Autofahrer. Hemmschwelle Viele enden tödlich. Die Hemmschwelle sinkt, die jungen Kriminellen aus den armen Townships zögern nicht, für ein Handy einen Mord zu begehen. Gewalt überschattet den Alltag in Südafrika. Zwar ist die Mordrate in den vergangenen Jahren zurückgegangen, trotzdem sterben Tag für Tag an die fünfzig Südafrikaner eines gewaltsamen Todes. Für den 44-jährigen Südafrikaner Laurie Nathan sind das immer noch die Folgen jahrzehntelanger Rassentrennung. Der Graben zwischen Arm und Reich, zwischen Schwarz und Weiß ist auch zehn Jahre nach dem Ende der Apartheid nicht zugeschüttet. "Wir haben nicht gelernt, Konflikte gewaltfrei auszutragen." Laurie Nathan leitet in Kapstadt das Centre for Conflict Resolution (CCR), das einer traumatisierten Gesellschaft beibringen will, wie man gewaltfrei miteinander umgehen kann. Nathan versteht die Angst der Weißen vor kriminellen Übergriffen, die Zunahme privater Sicherheitsdienste und den neuen Boom von abgeschotteten Wohnanlagen, die rund um die Uhr bewacht werden. Aber viel schlimmer noch als die von Armut getriebene Eigentumskriminalität ist die Gewalt in den Beziehungen. In den Townships, den Wohnvierteln der Schwarzen am Rande der Stadt, herrscht Mord und Totschlag, toben Bandenkriege, bedrohen Arbeitslose diejenigen, die ihr bisschen erarbeitetes Geld nach Hause bringen, wird Familienzwist mit Waffen ausgetragen. Weder die Polizei noch die örtlichen Verwaltungen sind in der Lage, mit diesen Konflikten umzugehen. Konfliktbewältigung

Hier beginnt die Arbeit des Kapstädter Zentrums für Konfliktbewältigung. Es bietet Polizeieinheiten Schulungen an, wie sie als Vermittler auf die Bürger zugehen und deren Probleme ansprechen können. Südafrikas Polizisten seien kaum vorbereitet auf ihre Rolle im neuen, demokratischen Südafrika. Im alten, autoritären Südafrika wurden Auseinandersetzungen mit Gewalt gelöst. Das Erbe einer Organisation, deren wesentliche Aufgabe es früher war, die schwarze Opposition einzuschüchtern und zu bekämpfen. Zudem sind die Dienststellen in den Townships unterbesetzt, die meisten Beamten überfordert und unterbezahlt.

Es gibt viele Fälle für die Konfliktmanager aus Kapstadt. Wenn es zum Beispiel darum geht, die Gangsterbanden in Kapstadts Townships zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Bei Schießereien auf offener Straße gibt es regelmäßig Tote. Manchmal geraten Unbeteiligte in die Schusslinie, auch Kinder, die gerade auf dem benachbarten Schulhof spielen. "Unsere Arbeit in solchen Fällen war sehr umstritten", gibt CCR-Direktor Laurie Nathan zu, "schließlich haben wir mit unseren Verhandlungen nichts an der Kriminalität der Banden verändert, die weiter stehlen und Leute überfallen. Aber wenn sich die Gangs nicht mehr gegenseitig erschießen, ist auch schon etwas gewonnen." "Taxikrieg" Im Schlichten von Kämpfen und Konflikten einer Gesellschaft voller Gegensätze haben die fast 40 Mitarbeiter des Centre for Conflict Resolution inzwischen viel Erfahrung gesammelt. Das regierungsunabhängige Institut wurde 1968 gegründet, es setzte sich schon damals für das gegenseitige Verständnis der Volksgruppen Südafrikas ein. Gründungsdirektor H. W. van der Merwe besuchte 1984 Nelson Mandela im Gefängnis und arrangierte erste Kontakte der weißen Regierung mit dem ANC (African National Congress). Sein Nachfolger Laurie Nathan forderte als Student die Rechte der Schwarzen ein. Der überzeugte Pazifist verweigerte den Militärdienst im Apartheidstaat und arbeitete nach dessen Ende an der friedlichen Abrüstung Südafrikas. Das Institut, das von vielen europäischen Staaten finanziell unterstützt wird, arbeitet auch mit den Vereinten Nationen zusammen und liefert Expertisen für Friedensverhandlungen auf dem ganzen afrikanischen Kontinent. Appell an die Vernunft Es ist nicht einfach, verfeindete Gegner an einem Tisch zu versammeln, wenn sie sich sogar weigern, im selben Hotel zu übernachten. "Wie Postboten sind wir von einem Hotel zum anderen gelaufen, haben Botschaften hin- und hergetragen", erinnert sich Laurie Nathan an einen schwierigen Verhandlungsfall. Manchmal entscheidet sich der Südafrikaner jüdischen Glaubens für das Kapstädter Holocaust-Zentrum als Versammlungsort. Die Bilder und Dokumente der Massenvernichtung blieben nicht ohne Wirkung auf die Teilnehmer, sagt Nathan, sie schrecken ab und appellieren an die Vernunft. (Susanne Bittorf/DER STANDARD-ALBUM, Printausgabe, 10./11./12.4.2004)