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Die Ikone des Südafrikanischen Freiheitskampfes und erster Post-Apartheid-Präsident, Nelson Mandela (85), auf einer Wahlkampf­veranstaltung in Johannesburg am 4. April 2004.

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Für die langjährige Widerstandsbewegung und heutige Regierungspartei ANC (African National-Kongress) steht eine neuerliche Zweidrittelmehrheit kaum ernsthaft infrage. Die neue Regierung soll voraussichtlich am geschichtsträchtigen 10. Jahrestag der ersten demokratischen Wahlen am Kap am 27. April in ihr Amt eingeführt werden.

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Südafrikas aktueller Präsident Thabo Mbeki verspricht, im Falle seiner Wiederwahl, ein großes Arbeitsbeschaffungs­programm und die Halbierung der Armut. Rund 40 Prozent der Südafrikaner sind derzeit arbeitslos, und 42 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Für die Versorgung der 5,3 Millionen HIV-Infizierten will sich die Partei in Zukunft verstärkt engagieren, und für die Bekämpfung der Kriminalität will der ANC 150.000 zusätzliche Polizisten einstellen.

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Wer einmal Südafrika bereist hat, wird verstehen, weshalb das Land zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und dem Limpopo, dem Grenzfluss zu Simbabwe, über drei Jahrhunderte lang so bitter zwischen Schwarz und Weiß umkämpft war. Südafrika ist ein Land von betörender Schönheit - und einer schier unerschöpflichen menschlichen wie geografischen Vielfalt: An seiner über 3000 Kilometer langen Küste liegen unberührte Strände und Lagunen, die in allen nur denkbaren Farben schimmern. Seine Wildreservate, Golfplätze und Weingüter gehören zu den schönsten der Welt. Es hat die tiefsten Gold- und Platinminen, ein angenehm temperiertes Klima und einen Tierreichtum, der unerschöpflich ist.

"Wunder Südafrikas"

Wenn ausländische Besucher dieser Tage ans Kap reisen, suchen sie neben Sonne, Savanne und Sand vielleicht noch nach etwas anderem: nach dem "Wunder Südafrikas". Dabei ist der unerwartet friedliche Übergang von der weißen Minderheits- zur schwarzen Mehrheitsherrschaft in diesem Monat schon zehn Jahre alt - und hat mittlerweile einen Teil von seinem Glanz verloren. Viele Südafrikaner erkennen erst jetzt, dass die Abschaffung der Apartheid der leichtere Teil des gesellschaftlichen Umbruchs war. Als weit schwieriger erweist es sich, ein tragfähiges wirtschaftliches Fundament zu legen, das den politischen Wandel stützt. Bezeichnend dafür ist auch, dass der Freudentaumel nach dem unerwartet friedlichen Wandel zwischenzeitlich in einen heftigen Post-Apartheid-Kater umschlug.

Niedrige Wahlbeteiligung erwartet

Wenn die Südafrikaner am Mittwoch, zehn Jahre nach dem Ende der 350 Jahre alten weißen Vorherrschaft, zum dritten Mal ihre Stimme in einer freien Wahl abgeben, dürften die Schlangen wartender Menschen erheblich kürzer sein als noch im April 1994. Dass die Wahlbeteiligung erheblich niedriger sein wird, liegt zum einen daran, dass der frühere Apartheidstaat inzwischen in vieler Hinsicht zu einem "normalen Land" geworden ist und Wahlen deshalb heute auch weniger wichtig erscheinen. Auch wird die Demokratie inzwischen vor allem von den vielen jungen Menschen als etwas Selbstverständliches empfunden. Viele haben weder Interesse an der konfliktreichen Geschichte des Landes noch an einem politischen Engagement. Für über die Hälfte der Bevölkerung, allen voran für viele schwarze Teenager, sind Widerstandskampf und Apartheid eine blasse Erinnerung.

Dominanz des ANC

Ein weiterer Grund für die Apathie liegt in der Dominanz des ANC. Bedingt durch eine Reihe politischer Überläufer verfügt die frühere Widerstandsbewegung inzwischen über jene ominöse Zweidrittelmehrheit, mit der die Machthaber die Verfassung, zumindest theoretisch, im eigenen Sinne ändern könnten. Sollte Südafrika der Entwicklung in anderen Teilen des Kontinents folgen, wird der ANC noch längere Zeit von der Aura zehren, das Land vom Joch der weißen Herrschaft befreit zu haben. Das Haltbarkeitsdatum dieser Aura scheint in Afrika im Schnitt bei etwa 25 Jahren zu liegen. Erst dann werden hier die ersten Regierungen, wie etwa in Sambia oder Kenia, abgewählt werden. In vielen anderen Schwellenländern wären die Konturen eines Einparteienstaats, wie sie sich nun auch in Südafrika herausschälen, Grund zu größerer Besorgnis. Am Kap scheint die Dominanz des ANC indes weniger zu beunruhigen. Das liegt zum einen daran, dass der ANC eine breite Kirche ist, die weite Bevölkerungskreise umschließt, zum anderen aber auch daran, dass sich die Regierung in Wirtschaftsfragen als weitsichtig erwiesen hat: Zollschranken sind gefallen, und das Wort "Finanzdisziplin" hat sich fest im regierungsamtlichen Jargon etabliert.

Unheilpropheten

Dass die Situation am Kap keineswegs so hoffnungslos ist, wie manche Unheilpropheten verkünden, lässt sich aber auch daran ablesen, dass die Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren fast kontinuierlich gewachsen ist, wenn auch auf dem viel zu niedrigen Niveau von zwei bis drei Prozent. Um die hohe Arbeitslosigkeit von 40 Prozent spürbar zu verringern, müsste Südafrika allerdings mindestens doppelt so starke Zuwachsraten erzielen. Auch Präsident Thabo Mbeki, der den Freiheitskämpfer Nelson Mandela vor vier Jahren abgelöst hat, ist nicht verborgen geblieben, dass die Einkommensunterschiede am Kap sowohl zwischen Schwarz und Weiß, mehr noch aber zwischen den reichen und ärmeren Schwarzen zu den größten der Welt gehören. Angesichts des Aufkommens einer schwarzen Elite verliert der ständige Verweis der Machthaber auf die Erblast der Apartheid zunehmend an Glaubwürdigkeit.

Politik der "stillen Diplomatie"

Überschattet wird die Präsidentschaft Mbekis aber auch von der noch immer ungelösten Situation im benachbarten Simbabwe, wo die schwarze Opposition seit Jahren brutal drangsaliert wird. Mit Unbehagen hat das Ausland registriert, wie beharrlich der ANC, aus welchen Gründen auch immer, zu Terror und Anarchie bei seinem nördlichen Anrainer schweigt. Inzwischen ist Südafrikas offizielle Politik der "stillen Diplomatie" gegenüber Simbabwe sogar in offene Unterstützung für dessen Diktator Robert Mugabe umgeschlagen. Der Schulterschluss zwischen der dort herrschenden Zanu-PF und dem ANC hat nicht nur den Westen, sondern auch einige afrikanische Staaten entsetzt.

Ebenso schwer verständlich ist vielen die Haltung von Präsident Mbeki in puncto Aids: Obwohl seine Regierung vor kurzem eine Kehrtwende in ihrer Aidspolitik vollzogen hat, scheint der Präsident selbst unerschütterlich daran festzuhalten, dass der HIV-Virus in Afrika allenfalls eine von vielen möglichen Ursachen für die Aidsepidemie ist. Dabei hat die Mehrheit der Bevölkerung am Kap kein Verständnis mehr für die vom Präsidenten initiierten abgehobenen Debatten, sondern ruft nach konkreten Schritten gegen die Killerepidemie, wie etwa den Zugang zu jenen Anti-Aids-Präparaten, die ihnen die eigene Regierung aus fadenscheinigen Gründen jahrelang vorenthalten hat, aber nun offenbar doch zur Verfügung stellen will.

"Zwitterdasein"

Vielleicht liegt es an der blutigen Geschichte Südafrikas, vielleicht an der unterbewusst stets vorhandenen Angst vieler Weißen, ihre Existenz in Afrika könne nur vorübergehend sein, dass aller Normalität zum Trotz an der Südspitze Afrikas eine gewisse Untergangsstimmung seit jeher zum Alltag gehört. Hinzu kommt, dass alte Gewissheiten unscharf geworden sind - und entsprechend groß ist bisweilen die Ratlosigkeit. Für viele Weiße ist es wie ein Schock, dass Südafrika immer mehr zu einem afrikanischen Land wird. Wie die Schwarzen, deren Kultur heute von Rapmusik bis zu Initiationsriten eine Melange unterschiedlichster Einflüsse ist, suchen auch die Weißen nach einer neuen Identität. Der südafrikanische Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee hat dieses Zwitterdasein einst so umschrieben: "Nicht mehr Europäer und noch nicht Afrikaner."

Regenbogennation

Ein Jahrzehnt nach dem politischen Umbruch ist Südafrika in einem schwierigen Übergang, aber eben noch nicht die von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu und vielen Tourismusbroschüren so gerne beschworene Regenbogennation. Hier verbrüdern sich die Rassen nicht. Die Staatssymbole zeigen, dass die Hierarchie der Rassen, das Übereinander von einem bloßen Nebeneinander abgelöst worden ist. Symptomatisch dafür steht die Nationalhymne: Sie entstand, indem der Choral des schwarzen Befreiungskampfes Nkosi Sikelelí Afrika (Gott segne Afrika) und die burische Stem (Die Stimme), die Hymne des Apartheidstaates, einfach aneinander gehängt wurden. Dennoch haben gerade die Kontraste Südafrikas ihren Reiz. Bei allem Nebeneinander gibt es gerade im Alltag, zumindest an der Oberfläche, durchaus eine starke soziale Interaktion zwischen den Menschen: Fremde werden auf der Straße gegrüßt oder Kunden in Geschäften gerne in ein längeres Gespräch verwickelt.

Der Journalist Denis Beckett, der in seinen Reportagen das Innenleben Südafrikas wie kein anderer offen legt, hat das einst so beschrieben: "Das Leben in einer bunt zusammengewürfelten Gesellschaft mit ihren starken Ausschlägen ist irgendwie spannend. Die Dinge sind weniger starr, und man ist nicht, wie etwa in Europa, nur ein Rad im Getriebe, sondern kann als Einzelner noch etwas bewegen." Und noch etwas sei sicher, fügt Beckett augenzwinkernd hinzu: In Südafrika werde bestimmt niemand an Langeweile sterben. Zu leicht wird manchmal bei allen Problemen auch vergessen, welch langen Weg das Land im vergangenen Jahrzehnt bewältigt hat. Wenige scheinen sich daran zu erinnern, dass am Kap im letzten Jahrzehnt eine ganze Gesellschaft auf den Kopf gestellt wurde und Südafrika heute trotz seiner anhaltend hohen Kriminalität dennoch politisch friedlicher und stabiler ist als andere Vielvölkerstaaten. Die Kaprepublik hat eine unglaubliche Fähigkeit zu überraschen - im Guten wie im Schlechten. Keiner hat dies besser zum Ausdruck gebracht als der vor fast 20 Jahren verstorbene Schriftsteller Alan Paton, der einst voller Zuneigung über seine Heimat schrieb: "Südafrika ist ein Land, in dem man am Sonntag verzweifeln und Montag schon wieder hoffen kann." (Wolfgang Drechsler/DER STANDARD/ALBUM, Printausgabe, 10./11./12.4.2004)