Die Reaktionen des politischen Establishments auf die Aussage von Condoleezza Rice vor der 9/11-Kommission teilten sich wie erwartet entlang der Parteilinien: Aus dem Weißen Haus wurde "Condi" überschwänglich gelobt, Präsident George W. Bush rief seine Nationale Sicherheitsberaterin aus Texas an, um sie zu beglückwünschen, und führende Republikaner im US-Kongress zeigten sich ebenfalls äußerst zufrieden.

John Kerry, der demokratischer Präsidentschaftskandidat, weigerte sich, Stellung zu nehmen. Das werde er erst tun, wenn der Schlussbericht der Kommission vorliege. Dazu wird er am ersten Tag des demokratischen Parteitages - der Bericht soll am 26. Juli 2004 erscheinen - Gelegenheit haben. Andere Demokraten lobten zwar, dass Rice nach langem Widerstand doch ausgesagt hatte, kritisierten jedoch ihre oftmaligen Ausweichmanöver und die Schuldzuweisungen an andere, etwa an das FBI.

Die schärfste Kritik kam von einigen Hinterbliebenen der Opfer von 9/11, die im Wahljahr 2004 eine entscheidende Rolle spielen könnten. "Niemand will Verantwortung übernehmen. Dreitausend Menschen sind gestorben, und sie reden nur von strukturellen Problemen. Sie sollten sich schämen", erklärte etwa Robert McIlvaine, der einen Sohn im World Trade Center verloren hatte. Die Witwe eines anderen Opfers, Kristen Breitweiser, kritisierte Rice: "Sie hat erklärt, wie viel sie nicht gewusst hat. Was hat sie eigentlich gewusst? Es ist ihr Job, diese Informationen zu haben und an den Präsidenten weiterzuleiten."

Mittlerweile untersucht man im Weißen Haus, ob man der Forderung der Kommission nachkommen kann, ein Memorandum für den Präsidenten freizugeben. Es handelt sich um ein so genanntes PDB (President's Daily Briefing) vom 6. August 2001, das den Titel trägt "Osama Bin Laden ist entschlossen, innerhalb der USA zuzuschlagen". Kritiker der Regierung behaupten, es habe sich dabei um eindeutige Warnungen gehandelt. Rice erklärte jedoch vor der Kommission, es sei nichts Neues gewesen, dass Bin Laden solche Attacken plane. Das Memorandum enthalte keine konkreten Hinweise auf Ort, Zeit und Methode. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11./12.4.2004)