"liebKind" lautet der Saaltext zu Gudrun Kampls blutroter Wunderkammer im Salzburger Rupertinum.

Foto: Rupertinum
Salzburg - Auf Augenhöhe begegnet, werden Puten zu Kriegern, denen bei der geringsten Wallung der rau runzelige Stirnzapfen über dem Spitzschnabel halbzäh anschwillt und traurig handbreit absteht. In höchstmöglicher Besatzdichte wachsen die erregt aufgeplusterten Armeen in schummrigen Offenställen dicht geschlossen dem erfüllenden Schlachten entgegen. In weiß gekachelten Hygieneräumen lassen die Droh-Hähne dann zuckend ihr Leben zum Zweck diätisch wirksamer Verwertung ihres Mastfleisches zu Frisch- und Wurstwaren. Das versprühte Blut bildet glänzend purpurne Rinnsaale.

Aus selbiger Perspektive betrachtet, werden aus Tischen schützende Dächer, potenzielle Lagerplätze zwischen kommenden riesenhaften Füßen, aus Teddybären Gleichgestellte oder gar mächtige Beschützer. Und wie aus Echsen die Bilder der Drachen wuchsen, verwandelt sich die gemeine Hausspinne zum raumgreifenden Monster, dem nur mit einem wilden Ritt auf einem überlebensgroßen Schaukelputer zu entkommen ist. Dem Kind begegnet die Welt überlegen. Es entwaffnet sie mit Neugier; so lange, bis Erziehung und Erfahrung greifen, aus dem unvoreingenommenen Erproben, dem unmittelbaren Erfahren von Lust und Schmerz, weich und hart, Gewalt und Zuneigung, Strategie wird, Überlebensstrategie.

Die verschwommenen Bilder der abenteuerlichen Erstkontakte nähren die Sehnsüchte und Obsessionen im später gebotsbestimmten Alltag in der Normalperspektive. Gudrun Kampl hat in der Arkadenhalle des Salzburger Museums der Moderne Rupertinum ein Zimmer eingerichtet. "liebKind" lautet der Saaltext zur Wunderkammer, in der Schaukel wie Rüstung, Kuschelecke und Käfig, Abendkleid, Mobile und Traumfänger allesamt in blutrotem Samt erscheinen; gepanzert oft mit Manschetten und Schilden von trockener Tierhaut.

Das Adernkleid blutet bodendeckend zu Innereien aus, das Spinnenmobile gibt kronlüstern sein Pendant. Ein Video zeigt in endloser Wiederholung den Lebenszyklus der Indian-Armeen. Richard Wagner legt eine Tonspur aus. Die versammelten Reliquien fordern Berührung ein. Was eigentlich hindert einen daran, durch die blutunterlaufenen samtigen Falten des Schamkübels einzudringen; dem Geheimnis entgegen? Darf die Fetischkammer nicht eins werden mit dem Kinderzimmer? Scheut das bohrende Interesse vor dem Tabu zurück? Lähmt oder animiert das Verbot? Wie lange kann die Weigerung, sich dem Eindringen der Objekte ins Bewusstsein zu widersetzen, aufrechterhalten, wie lange der Impuls, selbst einzudringen, unterdrückt werden?

Wer hat mit diesem Adernkleid sein Innerstes nach Außen gekehrt, wessen Intimität, wessen Heiligkeit verletzt der Reiz, es überzustreifen, sich damit den fremden Körper anzueignen? Und wohin führt die erigierte Himmelsleiter im zentralen Hof des Rupertinums? Und an wem vorbei? An den zeitgleich dort präsentierten Altvätern des Surrealen wie Viktor Brauner, die Kampl als Vorbild zugedacht werden?

Oder doch in jene Glück verheißenden Höhen, derer wir uns gerne vermittels barocken Durcheinanders von Funeralkitsch, Votivgaben und Reliquiaren zu nähern versuchen? Die wir uns bromölgedruckt über dem Ehebett als Ort ewiger Geborgenheit vortäuschen?

Weniger weit hergeholt, fertigt Gudrun Kampl Objekte zur näheren Bestimmung des Jetzt, Konstellationen, um die Geborgenheit im festen Weltbild zu erschüttern, Aufforderungen, tätig oder bewusst untätig zu sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.4.2004)