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Vor einem zerstörten amerikanischen Armeelastwagen in Bagdad hält ein junger Schiite das Bild Muktada al-Sadrs hoch.

Foto: Reuters/Ceerwan Aziz
Nur mehr wenige Spuren künden am Montagvormittag in der Bagdader Vorstadt Sadr- City von den schweren Kämpfen zwischen radikalen Schiiten-Milizen und US-Truppen in den Nachtstunden zuvor. Von den Barrikaden der "Mahdi-Armee", der Privatmiliz des radikalen Predigers Muktada al-Sadr, blieben zermalmte Betonstücke liegen. Mehrere Autos waren von US-Panzern plattgewalzt worden, in einigen Häusern klaffen die Einschusslöcher von Panzergranaten.

US-Panzer sperren am Montag noch die Hauptzufahrt in die Zwei-Millionen-Vorstadt ab. Sie ist nach Mohammed Sadik al-Sadr, dem Vater des Predigers benannt, der ein angesehener schiitischer Geistlicher war und den Agenten des Saddam-Regimes 1999 ermordeten. Für eine Stadt im Belagerungszustand ist die Stimmung merkwürdig ruhig. Lediglich hundert Meter vom Büro der Al-Sadr-Bewegung entfernt beginnen Jugendliche Stacheldraht auszurollen und Metallgegenstände auf die Straße zu werfen. Sie mimen Entschlossenheit, das Büro gegen die anrollenden US- Panzer zu verteidigen.

"Angriff auf das ganze irakische Volk"

Autos mit den Holzsärgen der am Vorabend Getöteten, der "Märtyrer", kreuzen durch die Hauptstraße. Vor dem Büro der Al-Sadr-Bewegung strömen ein paar Hundert Männer zusammen. Der Funktionär Amir el Husseini gibt per Megafon die Losungen des Tages aus. "Euer geliebter Imam" – gemeint ist Muktada al-Sadr – "leidet in dieser Stunde mit euch. Das, was gestern geschah, war ein Angriff auf das ganze irakische Volk." Immer wieder wird er von der Menge unterbrochen, die Parolen ruft wie "Keine Demütigungen mehr!" und "Sieg, Sieg, Sieg für unseren Muktada!" Doch der Redner mit dem schwarzem Turban und dem kurz geschnittenen Bart fordert zur Ruhe auf. "Unternehmt nichts, solange kein Befehl von eurem Führer kommt!"

"Amerikaner schossen in die Menge"

Die Schiiten in Sadr-City gefallen sich in der Opferrolle. "Wir haben friedlich demonstriert", meint der Lehrer Khalil Hamid. "Die Amerikaner schossen einfach in die Menge, ohne Vorwarnung." Die Darstellung der Amerikaner ist anders. Demnach hätten die Truppen eingegriffen, weil die "Schwarzhemden" der "Mahdi-Armee" Polizeiwachen und Amtsgebäude in der Vorstadt angriffen.

Polizei forderte Verstärkung an

Tatsächlich war am Sonntagabend im Polizeifunk mitzuhören, wie Polizisten in drei Polizeiwachen von Sadr-City Verstärkung anforderten, weil sie von den Milizen belagert wurden. Trotzdem war zunächst unklar, ob es dabei beim Steinewerfen blieb oder ob die Amerikaner bei der Fahrt durch die Vorstadt in den Hinterhalt einer kleinen Gruppe gerieten und dann – wie sie es so oft im Irak tun – begannen, wild um sich zu schießen.

Der Verkehrspolizist Mohammed Abdel Jabar, der sich am Montag dienstfrei in Zivil zeigte, deutet Letzteres an. "Es war eine friedliche Demonstration, aber da kam dann so ein Auto, aus dem geschossen wurde."

"Jetzt ist Demokratie"

An diesem Punkt der Unterhaltung greift ein Mann mit schwarzem Hemd und mit dem Aufstecker des Al-Sadr- Büros ein. "Es ist nicht gut", belehrt er die den Reporter und seinen Übersetzer umringende Gruppe von Anwohnern, "wenn ihr so völlig frei mit den ausländischen Journalisten redet." Diese sollten ja eine "Orientierung" mitbekommen. Darauf geschieht etwas Ungewöhnliches. Ein fülliger, in seinem Kaftan eher traditionell aussehender Mann empört sich. "Was soll das? So war es unter Saddam. Aber jetzt ist Demokratie, und da dürfen wir reden, ohne um die Erlaubnis eures Büros zu fragen." (DER STANDARD, Printausgabe, 6.4.2004)