Der Arbeitsmarkt in der EU und in den Beitrittsländern

Der Standard
Wien - Zwar werden in wenigen Wochen die Sektkorken knallen, wenn die EU am 1. Mai ihre größte Erweiterung vollzieht und zehn neue Mitglieder beitreten.

Aber die unmittelbaren Auswirkungen des Beitritts nach Jahren der Annäherung werden wenig Freude auslösen: Preise und Gebühren werden steigen, eine Folge der Harmonisierung der Steuersätze.

Steigende Inflation

In Tschechien wird heuer ein Anstieg der Inflation von 01, auf 3,5 Prozent erwartet, in Ungarn von 4,7 auf 6,9 Prozent. Das Geld aus den EU-Töpfen wird mangels Know-how anfangs nicht so hoch sein wie erhofft. Und es wird keine kurzfristig spürbaren Wachstumsimpulse geben.

"Es ist zu befürchten, dass es nach dem Beitritt zu Enttäuschungen kommt", prognostiziert Peter Havlik, Experte des WIIW (Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche) für die Länder Mittel-und Osteuropas (MOEL).

"Es kann zu einem Rückschlag kommen. Vor allem in Polen, Tschechien und der Slowakei ist dies nicht sehr erfreulich, denn die politische Diskussion kann zu weiterer Destabilisierung führen", warnte der Experte im Rahmen eines Seminars der Erste Bank.

Arbeitslosigkeit größte Herausforderung

Die hohe Arbeitslosigkeit bleibt die größte Herausforderung der MOEL-Staaten (Tschechien, Polen, Slowakei, Ungarn, Slowenien). Denn das - im Vergleich zum "alten Europa" - rasante Wachstum selbst in den Flautejahren (3,4 gegen 0,7 Prozent BIP-Wachstum im Vorjahr) war ein "Wachstum ohne Jobs", beschreibt Havlik. Insbesondere der hohe Produktivitätszuwachs sorgt für "jobless growth".

Seit 1995 wuchs die Produktivität der MOEL um 23 Prozent stärker als in der EU-15. Die Erneuerung der veralteten Wirtschaftsstrukturen hat zu höherem Output und enormen Produktivitätsgewinnen geführt. Aber weiterhin liegt die MOEL-Produktivität nur bei etwas mehr als der Hälfte der EU-15, womit anhaltende Arbeitslosigkeit durch weitere Effizienzsteigerung programmiert ist.

Kein Migrationsdruck

Mit 14,2 Prozent im Durchschnitt aller neuen Mitglieder lag die Arbeitslosigkeit fast doppelt so hoch wie in den EU-15 (zuletzt acht Prozent). Einzelne Länder weisen eine wesentliche höhere Arbeitslosigkeit auf: Polen 19 Prozent, die Slowakei 16,6 Prozent - verschärft durch eine dramatische Situation bei den Jungen und starke regionale Unterschiede, sagt Havlik. Für die EU bedeutet der Beitritt einen Anstieg der Arbeitslosigkeit um einen ganzen Prozentpunkt auf neun Prozent.

Trotzdem ist der Konsens der meisten Experten, dass dies auch ohne die bestehenden Restriktionen zu keinem Migrationsdruck führt. "Es gibt nur eine sehr geringe Mobilität in den MOEL", sagt Havlik.

Die Verschärfung der EU-Arbeitsmarktbestimmungen in den letzten Wochen selbst durch Staaten, die ursprünglich keine Übergangsfristen vorsahen, sei darum "politischer Populismus.

Das verursacht bei den Beitrittsländern Sorge, weil es eine der vier Freiheiten der EU ist und das Funktionieren des gemeinsamen Marktes erschwert." Mittel- und langfristig würde es hingegen im Osten wie im Westen aufgrund der niedrigen Geburtenrate Arbeitskräftemangel geben.

30 Jahre Aufholprozess

Die Länge des Aufholprozesses, bis die Neuen auf EU-Niveau sind, ist nur schwer einzuschätzen. Bleibt das Wachstum im Schnitt um zwei Prozent höher als in der EU-15, dauert es 30 Jahre, um die Wirtschaft auf EU-Schnitt zu bringen.

Aber schon in wenigen Jahren könnten Tschechien und Slowenien, deren Bruttoinlandsprodukt (BIP) derzeit bei 60 bis 70 Prozent der EU-15 liegt, von Beihilfenempfängern zu Nettozahlern werden - ähnlich wie das Burgenland, das derzeit die 75-Prozent-BIP-Grenze der Förderwürdigkeit überschreitet. (DER STANDARD Printausgabe, 05.04.2004, Helmut Spudich)