Der 4. März 2001 gilt Schweizer Europafreunden als betrübliches Datum. Gefragt, ob man über einen Beitritt des Landes zur EU nicht wenigstens Verhandlungen aufnehmen solle, sagten damals 77 Prozent der Bürger "Nein". Viele glaubten, das Thema sei für mindestens zehn, wenn nicht gar zwanzig Jahre vom Tisch. Vor der Parlamentswahl im vergangenen Oktober hielten die Europhilen denn auch ängstlich ihren Mund.

Es schien, als hätten die EU-Hasser um den Rechtspopulisten Christoph Blocher endgültig gewonnen. Nun hat die EU-Debatte plötzlich doch wieder begonnen, ungeahnt heftig sogar. In diesen Wochen ist den Schweizern nämlich schmerzhaft bewusst geworden, dass sie ihr gar nicht entkommen können: Denn je stärker sich der Kontinent um sie herum zusammenschließt, je dichter das Netz aus Regelungen gewoben wird, desto prekärer wird die Insellage der Eidgenossen. Als Lehrstück dienten die jüngsten Streitereien mit dem "großen Kanton".

Hart in der Sache

Über Nacht hatten die Deutschen die laxen Kontrollen an den Übergängen zur Schweiz verschärft, lange Wartezeiten und Staus waren die Folge. Es handle sich um eine Außengrenze des Schengen-Systems, bekamen die verärgerten Schweizer zu hören, in diesen Zeiten könne man sich keine Laschheiten mehr leisten. Inzwischen hat man in Berlin zwar eingesehen, dass man Bern vorher wenigstens hätte informieren müssen. In der Sache aber bleiben die Deutschen hart.

Auch die EU lässt nicht nach in ihren Bemühungen, das Bankgeheimnis zu knacken. Ob sich die Schweiz zur Fluchtburg für Steuerhinterzieher machen wolle, fragt der deutsche Finanzminister Hans Eichel drohend. Zusätzlich plant Brüssel, demnächst Zölle auf EU-Waren zu erheben, die aus der Schweiz in die Union reexportiert werden.

In ihrer ersten Wut schoben die Schweizer alles auf die Deutschen. Nun merken sie, dass es im Kern um Probleme zwischen der Schweiz und der EU geht, die noch zunehmen werden. Zeitungen, aber auch Politiker befürchten nun, der Sonderweg werde in der Sackgasse enden. Der Alleingang fordere seinen Preis: Schlange stehen an der Grenze, seltsame Zölle, Wachstumsschwächen im Vergleich mit den liberalisierten EU-Ländern, vor allem aber ein immer schlechteres Image.

Nachdem das Volk 1992 den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum abgelehnt hatte, beschloss Bern, sich der EU über bilaterale Verträge anzunähern, die den freien Personenverkehr oder die Anerkennung von Normen regeln. Virtuos pickten sich die Schweizer in der Folge die Rosinen aus dem Kuchen, sicherten sich die Vorteile des integrierten Europas, ohne sich eingliedern zu wollen. Doch die Europäer haben nichts mehr zu verschenken. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 5.4.2004)