Vom einfachen Möbelpacker über den Troubleshooter zum obersten Chef von Londons globalem Auktionsgiganten Christie's: Der Historiker - und passionierte Rugbyspieler - Ed Dolman über seine Arbeit, die Kunstmärkte und deren Perspektiven.


Es ist beruhigend zu hören: Dieser in dem elegant ausgestatteten Erkerzimmer mit Blick auf die King Street im Londoner Kunsthändlerviertel St. James sitzende Mittvierziger hatte bis nach dem Studium im Hinblick auf seine berufliche Laufbahn nicht einmal die Spur einer Ahnung. 1984 beginnt der damals 22-jährige Historiker als Möbelschlepper bei Christie's.

Ed (Edward) Dolman arbeitet sich bis zum Spezialisten für europäische Möbel, später zum Direktor der Möbelsparte hinauf. Mitte der 90er-Jahre drückt er kurzfristig wieder die Schulbank, belegt einen Kurs in Business Studies und wird Managing Director in Amsterdam, dann für Europa und später für Amerika. Am Weihnachtsabend 1999 wird er zum Chief Executive Officer (CEO), also zum obersten Chef berufen.

Der bittere Beigeschmack: Christie's hat wegen illegaler Preisabsprachen mit Konkurrent Sotheby's ein ernst zu nehmendes Problem. Diese Erkenntnis übermitteln die hauseigenen Anwälte, und noch heute bezeichnet Dolman diesen Moment als den "absolut schlimmsten meiner Laufbahn". Fran¸cois Pinault hatte den börsennotierten Auktionsgiganten im Jahr davor erworben, privatisiert und derartige Unbill nicht im Businessplan kalkuliert.

Aber der französische Geschäftsmann bewies Contenance. Und Vertrauen. Seine Mannschaft lohnt es ihm: mit steigenden Umsatzzahlen und ständig neuen Rekordzuschlägen. Die magische Grenze der zwölf Nullen ist längst überschritten, auf 1,77 Billionen Euro beziffert Dolman das 2003 weltweit eingefahrene Ergebnis.

Gegenwärtig kommuniziert man offener als andere Auktionshäuser, merkt der CEO an und meint die neben manchen Objekten angeführten Symbole. Ein kleiner Kreis steht für eine von Christie's - wie es schon Gründer James Christie im 18. Jahrhundert pflegte - abgegebene Garantie; falls der Zuschlag über dem garantierten Betrag erteilt wird, streift das Auktionshaus den Gewinn ein.

Liegt das Meistbot darunter, zahlt man dem Einbringer die Differenz. Ein kleines Dreieck deutet auf finanzielles Engagement hin - das heißt, dass das offerierte Werk zu gewissen Teilen oder zur Gänze Christie's gehört.

Das rote Buch

Dolman steht zu dieser Art von Kommunikationskultur, auch wenn das Gespräch auf das legendäre "red book" kommt. Anfang 2002 sorgte die für einen engen Kreis von Mitarbeitern gedachte Präsentation der Unternehmensphilosophie für mediale Entrüstung - und war dennoch nicht viel mehr als interne Krisen-PR im Zeichen des Kartellverfahrens. Aber was in Branchen der New Economy ein gängiges Motivationstraining ist, darf doch bitte für die elitäre Welt der Kunst nicht gelten.

Dolman quittiert die damalige Aufregung mit einem Lächeln. Was seiner Meinung nach wirklich zählt, sind Dinge wie der im selben Jahr erfolgreich absolvierte Eintritt in den französischen Auktionsmarkt. 80,3 Millionen Euro setzte man dort vergangenes Jahr mit 35 Auktionen um, "das sind 40 Prozent mehr als 2002", kalkuliert Dolman.

Die Gewinne aus den in Paris für London und New York akquirierten Sammlungen und Highlights, wie Fernand Légers La femme en rouge et vert (22,4 Mio. US-Dollar), sind hier noch gar nicht inkludiert. Welche Rolle Christie's-Eigentümer Fran¸cois Pinault dabei spielte? "Eine erhebliche", sagt Dolman, "vor allem dessen Fingerspitzengefühl als Geschäftsmann und passionierter Kunstsammler." Dolman sieht in ihm den Idealtypus eines Eigentümers, den das Alltagsgeschäft nicht interessiert. Die finanzielle Performance ist relevant, aber "wie wir das anstellen, bleibt meinen Mitarbeitern und mir überlassen". Und wie in einem seismografischen Institut verzeichnet die Führungsebene bei Christie's jede kleinste Veränderungen auf dem Markt: den Geschmackswandel des Publikums, die Evaluierung der Wünsche junger Sammler genauso wie die neuer Käuferschichten oder Verschiebungen wirtschaftlicher Reichtümer.

Man will schließlich dort sein, wo das Geld ist. Dolman erklärt es an einem Beispiel aus seiner angestammten Sparte: Noch in den 80er-Jahren waren Rekordzuschläge für Möbel dem europäischen Terrain vorbehalten, in den 90ern zog man in den amerikanischen Auktionssälen nach, jetzt hat Asien die Nase vorne. Im Juli 2003 erklomm man in Hongkong den Weltrekord für ein chinesisches Möbel: für umgerechnet 3,14 Millionen Euro wechselte ein Paravent aus der Kangxi-Periode (1662- 1722) in den asiatischen Handel.

Blick nach Asien

Gemessen am weltweiten Turnover (2002) sind die Umsätze in Asien und Australien (105 Mio. Euro) zwar geringer als in Europa (846 Mio. Euro) oder den USA (792 Mio. Euro), aber, so CEO Ed Dolman, bezüglich der Kaufkraft handele es sich hier um einen der interessantesten Entwicklungsmärkte überhaupt. Und in diese Kerbe schlägt man aktuell. Erstmals werden demnächst Highlights aus dem im Mai in New York zu versteigernden Sektion "Impressionists & Modern Art" in Schanghai zu sehen sein. Nach Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts ist dies im Übrigen die bei weitem erfolgreichste Sparte von Christie's. 2002 setzte man hier fast 425 Millionen Euro um. Solche Zahlen lassen Ed Dolman so manchen unangenehmen Moment in seiner Laufbahn vergessen. Obwohl, Schmerzen ist er gewohnt, wie er versichert. Der 44-jährige Vater zweier Kinder hegt seit seiner Studienzeit eine besondere Leidenschaft für Rugby.

Als Aktiver belegte er die nur von Insidern anerkannte Position des rechten Erste-Reihe-Stürmers. Ein Spieler, der immer mitten im Gedränge steht und über statische Kraft verfügen muss. Er hat die Bälle für jene zu erobern, die sie dann in spektakuläre Punkte verwandeln. Den Ruhm ernten stets die anderen. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.4.2004)