Cartoon: Oliver Schopf,
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Man muss sich in unangenehme Bereiche vorwagen, wenn man eine beliebte Gattung der Politmetapher ("Körperliche Züchtigung durch den Wähler") auf die Ergebnisse von Frankreichs Regionalwahlen anwenden will. Keine Ohrfeige war es, die der Pariser Zentralregierung da verabreicht wurde, sondern eine Tracht Prügel, die an schwere Körperverletzung grenzt. Selbst wenn man die Neigung der Franzosen, ihre Machthaber an der Urne hart abzustrafen, einrechnet, bleibt das Ergebnis für die rechtsbürgerliche "Union pour la Majorité présidentielle" (UMP) ein Desaster, das ihre Triumphe von 2002 fast zunichte macht.

Damals hatte die Präsidentenpartei in der Nationalversammlung eine Zweidrittelmehrheit erzielt, und Jacques Chirac siegte gar mit vier Fünftel der Stimmen: dies freilich nicht, weil die Franzosen von seiner Performance so begeistert gewesen wären, sondern weil es, dank dem anarchischen Stimmverhalten der Linken, der Rechtsradikale Jean-Marie Le Pen bis in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen geschafft hatte und die Linke zähneknirschend für Chirac votieren musste, um der Nation noch mehr Pein zu ersparen.

2002 hatte es so ausgesehen, als könnte sich die UMP auf ein paar Jahre ungestörter bürgerlicher Hegemonie einstellen und als wäre mit Premier Jean-Pierre Raffarin, einem Newcomer, der sich bei Amtsantritt als volksnaher Bonvivant darstellte, auch der Mann gefunden, um die Nation länger bei Laune zu halten.

Dieses Bild hat sich 2004 grundlegend geändert. Obwohl man mit grenzübergreifenden Politvergleichen vorsichtig sein sollte, lassen sich Parallelen zu Österreich erkennen. Da wie dort ist eine konservative Regierung mit ehrgeizigen Reformansprüchen am Ruder (in Paris allerdings ohne Beteiligung des populistischen rechten Randes). Da wie dort werden diese Reformen auf eine Art durchgezogen, die selbst gutwillige Wähler verprellt. Dem österreichischen Widerwillen gegen die Harmonisierung der Pensionssysteme entspricht etwa ein französischer Klientelismus, der einige soziale Schichten krass bevorzugt - während die Forscher durch scharfe Sparmaßnahmen auf die Straße getrieben werden. Da wird dort wird mit der fadenscheinigen Strategie operiert, magere Leistungen mit feister Selbstbelobigung übertünchen zu wollen.

Der glitschige Phrasenstrom, der dem österreichischen Finanzminister ständig entweicht, findet sein exaktes Pendant in dem öligen Reklame-Talk, mit dem Raffarin Frankreichs Öffentlichkeit mehr und mehr auf die Nerven fiel. Da wie dort ist aber auch eine Opposition am Werk, deren Erfolge weniger auf brillante gesellschaftspolitische Alternativkonzepte als auf die gehäuften Pannen der Regierung zurückgehen.

Peinlich ist die Wahl für Chirac vor allem, weil sie ihn auch international Reputation kosten wird. Chirac hat sich nicht erst seit dem Irakkrieg um einen transatlantischen Systemvergleich bemüht, um das etatistische französische Modell als überlegen erscheinen zu lassen. Dieser Anspruch ist rissig geworden: Offenbar ist die französische Gesellschaft immer noch von einem tiefen Unbehagen erfüllt, das mit einer hohen Arbeitslosenrate ebenso zu tun hat wie mit einer schwindenden sozialen Integrationskraft.

Auch innenpolitisch steht Chirac vor unangenehmen Alternativen. Das wahrscheinlichste Szenario sieht so aus, dass er Raffarin über die Klinge springen lassen wird, um dem Wähler den Willen zur Veränderung zu signalisieren. Das ist der leichtere Teil der Übung. Der schwierige ist der, dass Chirac bei der Nachbesetzung des Postens nur schwer um Innenminister Nikolas Sarkozy, der mit einer eisenharten Politik der inneren Sicherheit zum beliebtesten Minister geworden ist, herumkommen wird.

Sarkozy hat aber klargestellt, dass er seine Popularität energisch dazu nutzen wird, um Chirac 2007 als Präsident zu beerben: Die letzte Etappe von Chiracs langer Politkarriere erhält damit eine ebenso bittere wie ironische Note. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.3.2004)