Überwachung überall oder Terroristen und anderen Kriminellen freien Lauf lassen. Dazwischen liegt, so scheint es, momentan kein Spielraum. Damit wird es auch zunehmend schwieriger, die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu halten.

Es sind nicht nur terroristische Anschläge wie die von Madrid, die leider wieder klar gemacht haben, dass kein Staat unverwundbar ist, dass zu Mord und Selbstmord Entschlossene jederzeit mit unvorstellbarer Gewalt zuschlagen können. Es sind auch allgemeine Bedrohungsszenarien, die im Fahrwasser des Terrors entstehen und sich unter anderem in zunehmender Fremdenfeindlichkeit entladen. Terror und die "importierte Kriminalität", das sind die Schlagworte, die in ganz Europa zu immer schärferen Sicherheitsmaßnahmen führen und damit Grund- und Freiheitsrechte in zunehmendem Maße beschneiden.

Innenminister Ernst Strasser beherrscht den politischen Drahtseilakt zwischen Repression und Prävention perfekt. Wie oft hat er zum Beispiel in der Vergangenheit seinen deutschen Amtskollegen Otto Schily als Verbündeten im Kampf gegen das Verbrechen zitiert. Der kleine parteipolitische Unterschied spielte dabei keine Rolle.

Doch nun hat die deutschsprachige Achse des Guten einen Knacks erlitten. Schily lehnte Strassers Vorschlag, einen EU-Geheimdienst zu gründen, ab. Dafür wirft der österreichische Christdemokrat dem deutschen Sozialdemokraten nun vor, mit den jüngsten Antiterrormaßnahmen über die Stränge der Menschenrechte zu schlagen. Und plötzlich ist er wieder da, der farbliche Unterschied. Rot-Grün in Berlin habe das zu verantworten, so Strasser.

Tatsächlich ist Schily knapp daran, den Boden der Rechtsstaatlichkeit zu verlassen. Dass ausländische Terrorverdächtige aufgrund einer "Gefahrenprognose", aber ohne konkrete Indizien unverzüglich außer Landes oder in Sicherheitshaft geschafft werden sollen, ist ein schwerer Schlag gegen die persönlichen Grundrechte.

Dunkle Gewitterwolken

Doch Strassers Entwurf zum neuen Sicherheitspolizeigesetz hat auch Passagen, die dunkle Gewitterwolken über der Menschenrechtskonvention aufziehen lassen. Zum Beispiel, dass jemand, von dem nur behauptet wird, ein Krimineller zu sein, mit einem Verbot, sich auf bestimmten Plätzen aufzuhalten, belegt werden kann. Einspruchsmöglichkeit? Ja, beim Unabhängigen Verwaltungssenat, aber bis der entschieden hat, ist das auf 30 Tage befristete Platzverbot längst abgelaufen.

Es ist schon klar, dass das Vorhaben einen guten oder zumindest einen gut argumentierten Grund hat, nämlich Drogendealer oder Rechtsradikale von Schulen fern zu halten. Auch die geplante umfassende Videoüberwachung soll präventiv dazu beitragen, etwaige Straftaten zu verhindern. Aber wie komme ich dazu, dass zum Beispiel bei einer Fahrt über die Grenze mein Autokennzeichen vorsorglich von einer Videokamera aufgenommen wird und mit Daten aus der Verbrecherdatenbank verglichen wird? Gerade mit der neuen Videoüberwachung wird ein jederzeit ausbaubares Instrumentarium für die Kontrolle ohne Anlass geschaffen.

Drohende Beweislastumkehr

Wer nichts verbrochen hat, braucht auch nichts zu befürchten, hört man oft. Doch hinter dieser Abwiegelung versteckt sich eine drohende Beweislastumkehr. Vielleicht heißt es bei Verkehrskontrollen schon bald: "Führerschein, Fahrzeugpapiere und Leumundszeugnis, bitte."

Es ist aberwitzig zu glauben, durch Kontrollen globale Bedrohungsszenarien in den Griff zu bekommen. Zunehmende Gegensätze zwischen Arm und Reich, Überbevölkerung und Not, Mangel an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, verweigerte Partizipation an Entscheidungsprozessen und regionale Machtvakuen lassen sich nicht dadurch lösen, indem Fluglinien bekannt geben, welche Passagiere an Bord sind und welches Bordmenü sie bestellt haben.

Mit Grund- und Freiheitsrechten verhält es sich wie mit Zahnpaste: Einmal aus der Tube gequetscht, bekommt man sie nicht mehr retour. (Michael Simoner/DER STANDARD; Printausgabe, 29.3.2004)