Mit dem Frühlingsbeginn erwachen Liebe und Triebe zu neuem Leben. Wer (noch) kein reales Objekt der Begierde hat, mag mit virtueller Erotik vorlieb nehmen. Regina Bruckner surfte durch einschlägige Websites.

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Es gibt Menschen, die behaupten, Erotik im Netz gebe es gar nicht, weil Erotik mit Sinnlichkeit zu tun habe. Und Sinnlichkeit an/mittels einer Maschine wie dem Computer sei undenkbar. Angesichts der Definition laut Duden, wo von "mit sensorischer Faszination erlebter, den geistig-seelischen Bereich einbeziehende sinnlicher Liebe" die Rede ist, könnte man solch Unkenrufen Recht geben. "Erotisch die Liebe betreffend in ihrer (ästhetisch) sinnlichen Anziehungskraft" hat eben auch mit Stil und Geschmack, mit der Lehre von Gesetzmäßigkeit und Harmonie in Natur und Kunst zu tun.

Von so viel Feinsinnigkeit bleibt - wie im richtigen Leben - auch im World Wide Web nicht viel übrig. Sucht man etwa bei google. com nach Erotik, so werden rund dreieinhalb Millionen Ergebnisse angezeigt. "Extrem versaute Bilder" wie "Sex mit der Rittmeisterin" spuckt die Suchmaschine im schnellen Überblick ebenso aus wie "Heiße Girls jeden Tag frisch". Insgesamt ist es von der Vielfalt an Seiten gar nicht so einfach, mehr als lüstern blickende Mädels und Jungs herauszufiltern, wofür zuweilen auch noch eine Menge Bares eingestreift wird. Kleinodien, die der obigen Definition entsprechen, sind eher rar gesät.


Die Kriterien:

Grundsätzlich galt: Wir nehmen nur kostenlose Angebote unter die Lupe. Selbst wenn man, wie ein Sprichwort weiß, dem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaut, setzten wir auch bei Gratisangeboten voraus, was man von jeder guten Website erwartet:

  • ansprechende grafische Gestaltung (G),
  • übersichtliche Navigation (N),
  • anziehende Inhalte (I) und
  • überlegten Seitenaufbau (S).

Außerdem interessierte in der Beurteilung, wie gut es den Machern gelungen ist, Erotik im Sinne obiger Definition zu vermitteln (E). Benotet wurde nach dem Schulnotensystem, die Gesamtnote ergibt sich aus dem Durchschnitt (D).


Die Ergebnisse

Schlaflosengalerie: insomniagallery.com Insomnia, Fine Art Erotica ist die Site eines russischen Fotografen und Filmemachers. Er outet sich in pathetischen Worten als großer Freund weiblicher Schönheit (was gewissermaßen den literarischen Anteil ausmacht), weswegen sich folgerichtig hauptsächlich weibliche Aktfotos finden. Ihre ganz und gar unschlüpfrige, dafür betont ästhetische Aufmachung in puristischem Schwarz-Weiß (mit Zwischentönen) bewirkt allerdings, dass der Besucher eher zum Einschlafen verführt wird als zum Gegenteil. Die Qualität der Neuigkeiten, die als Newsletter im Dreimonatsrhythmus versprochen werden, konnten wir nicht beurteilen, weil sie trotz Registrierung nie eingetroffen sind. Außerdem kann man sich hier als Model bewerben (wenn einem der Weg zum Fotografen nach Los Angeles nicht zu weit erscheint), diverse Fotos als Druckversion bestellen, im Gästebuch nachlesen, wie ausnahmslos alle BesucherInnen der Seiten begeistert von denselben sind. In Sachen Seitenaufbau und Übersichtlichkeit gibt es nichts zu mäkeln. Lästig das Pop-up-Window, das ständig zum Eintragen in die Mailingliste einlädt. G: 1, N: 1, I: 4, S: 3, E: 3; D: 2,4 Arte Erotica: arte-erotica.de   "Erotik für Frauen", so der Untertitel, kann durchaus Männern und Frauen gefallen. Der Hauptpart besteht auch hier in Aktfotos von verschiedenen FotografInnen, was unterschiedliche Qualität zur Folge hat. Ganz ohne Kalenderästhetik kommt man nicht aus. Von den Fotos wird man zu den Seiten der KünstlerInnen weitergeleitet, was bei manchen ob des dürren Angebots erstaunt. Erotische Geschichten und Gedichte von Pathetisch bis Lustig finden sich im Leseraum, und im Postamt gibt es ebensolche E-Cards zu verschicken. Die überwiegend schwarz-weißen Fotos auf mintfarbenem Hintergrund erinnern entfernt an die kühle Atmosphäre eines Krankenhauses. Hübsch die Idee, die Fotos winzig klein zu halten. Erst durch Anklicken ist genau zu erkennen, worum es sich handelt, sodass sich der User ein bisschen voyeuristisch und verrucht fühlen darf. Das ebenfalls vorhandene Gästebuch ist nicht eben gut besucht, wer sich regen Austausch erwartet, könnte enttäuscht werden. In Sachen Gestaltung und Übersichtlichkeit gilt auch hier: gut gelungen. G: 1, N: 1, I: 3, S: 2, E: 2; D: 1,8 DES: das-erotische-sekretariat.de Das erotische Sekretariat ist der unterhaltsame Name für Erotisches mit Witz und Fantasie. Raffinierte Sujets in Schwarz-Weiß und Farbe, von Gewagt über Ästhetisch, gehören ebenso zum Angebot wie der so genannte "Quickie der Woche": ein zu verschickender Cartoon, Gewinnspiele mit zu erobernden erotischen Trophäen wie etwa einem Hörspiel. E-Cards, Kurzgeschichten, Lyrik, Buch- und Filmtipps, Veranstaltungshinweise, Erotikquiz oder Memoryspiel sorgen für Abwechslung und Unterhaltung. Nett das Angebot des so genannten "Eroskops", des erotischen Horoskops, das zum Weiterschicken auch gleich mit der entsprechenden Funktionalität versehen ist. Wer selbst einschlägig literarisch tätig werden möchte, ist hier ebenfalls richtig. Im erotischen Lexikon finden sich Tipps und Tricks sowie kulturhistorisches Wissen über Fellatio, Onanie & Co. Vom wilden Hengst zum Staubsauger lauten die Kategorien in Sachen erotischer Selbsteinschätzung. Die Seite ist inhaltlich außerordentlich vielfältig, und "nomen est omen" trifft bei der peniblen, übersichtlichen Gestaltung zu. G: 1, N: 1, I: 1, S: 1, E: 2; D: 1,2 Fauns's Erotikon: chello.at/faun Fauns's Erotikon bezieht sich auf den altrömischen Flur- und Waldgott, der in Kunst und Literatur besonders die starke, ungehemmte sexuelle Triebhaftigkeit symbolisiert. "Erotik ist Kultur" lautet die Begrüßung programmatisch, und so gibt es auf dieser Site einiges Wissenswertes über Faune, Stéphane Mallarmés "Nachmittag eines Fauns" für Literaturfreunde, erotisch-literarische Kurzgeschichten und raffinierte Faun-Darstellungen, die den Bogen von der Antike zum 20. Jahrhundert spannen. Witzige fotografische Fundstücke wie kopulierende Hasen und einschlägige Zeichnungen sowie erotische Postkarten zum Verschicken bereichern das Angebot, und Faun (wie sich der Seitenmacher selbst bezeichnet) stellt sein Wissen über in der Praxis getestete Accessoires bereit. Insgesamt eine recht subtile und anregende Mischung in kühlem Rahmen. Auch hier gilt: Seitenaufbau und Gestaltung lassen nichts zu wünschen übrig. G: 1, N: 1, I: 1, S: 1, E: 1; D: 1 aon.at/liebe Der Erotikchannel am aon-Portal verspricht optisch mehr, als er letztendlich inhaltlich bietet. Wo Liebe & Erotik draufsteht, ist vordergründig einmal viel nackte Haut drin. Der Lockruf "Gratis Sex Fotos" führt dann allerdings zu Seiten externer Anbieter, und das sind dann solche, auf denen Amateurschlampen und Konsorten unterwegs sind. Dafür kann man im News-Bereich etwa erfahren, wer die schönsten Beine der Welt hat, dass Menschen mit wildem Sex den Zahnschmerz vertreiben, und warum das so ist. In einem Minitest lässt sich das eigene Wissen über das Kamasutra testen, und wer damit unterfordert ist, geht bei love.at auf Partnersuche. Wer hingegen überfordert ist, kann in Sachen "Kamasutra total" Anleitungen per Bild und Text zu liebeskunstvollen Stellungen einholen. "Männer Talk" ist eher Männer-Monolog: Erzählt werden Geschichten, die so trivial sind, wie sie womöglich das Leben schreibt. Ein Sex-Test lässt auch nicht gerade abheben. Fragen wie: "Manche behaupten ja, in einer guten Ehe sollte es täglich Sex geben - ist das wirklich so?" und Antworten wie "Sicher, denn dazu wird ja geheiratet. Na klar, nur nicht immer mit der Ehefrau. Sicher nicht, in den besten Ehen passiert's nur höchstens sechsmal pro Monat" gehören nicht gerade zum Fantasievollsten, was das Genre zu bieten hat. "Lineas Erotik Talk" ist das weibliche Gegenstück (allerdings mit mehr Praxiswissen gespickt) zum Männer-Talk. Grafisch ist die Erotik-Abteilung dem aon-Portal angeglichen, an Übersichtlichkeit mangelt es auch hier nicht. G: 1, N: 1, I: 4: S: 4. E: 5; D: 3 (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 20./21.3.2004)