Südstadt - Der Soziologe musste also in die Südstadt. Roland Girtler hätte auch zu uns nach Hause, also in die Sportredaktion, kommen können. Gleiches Recht für alle. Der Herr Bundeskanzler Wolfgang Schüssel folgte vor gut einer Woche der Einladung, setzte sich ohne Krawatte vor den linken, größeren Fernseher. Genoss Real gegen Bayern plus zwei Flaschen Bier ohne Glas (wir hatten vor Aufregung glatt darauf vergessen, ihm eins anzubieten). Wir haben übrigens auch einen rechten, kleineren TV-Apparat, das Büro ist nämlich ganz toll, fast luxuriös ausgestattet.

"Ich will dorthin, wo es menschelt"

Girtler zieht den Stadionbesuch vor. Ohne Krawatte. Admira gegen Rapid ist ihm recht. "Ich will dorthin, wo es menschelt. Das ist authentischer." Für seine Studien trieb er sich einst in diversen Unterwelten herum, bei Huren, Zuhältern, Sandlern und Hooligans. Derzeit befasst er sich mit Pfarrersköchinnen, die sind "eine Art von Fußballbräuten, weil sie ebenfalls Männern dienen". Abgesehen davon fühlt er sich geehrt, "dass ich eingeladen wurde. Darf ich mein Enkerl mitnehmen?" Selbstverständlich, der Kanzler kam auch mit Pressesprecherin, wieder gleiches Recht für alle. "Der kommt mit der Pressesprecherin, ich mit dem Enkerl. Des is guat."

Der Soziologe wollte ursprünglich in die Südstadt radeln (über die Triester Straße), Enkerl Sigrid hat ihn von einer gemeinsamen Fahrt mit der Badener Bahn überzeugt. Das mit den Karten für Girtler und Sigrid war ein Problem und auch keins, bei der Admira haben sie uns gesagt, man habe von einem Herrn Girtler nie gehört. Na gut, man will eh nichts geschenkt bekommen. Unsere Gäste sollen sich nicht kränken, das Geld für zwei Tickets (31 Euro) kann sich der STANDARD allemal leisten.

Ursprünglich LASK-Fan

Der Soziologe ist kein "Spezialist", eher "ein alter, grauer, streunender, aber nicht zahmer Wolf". Ursprünglich war er aufgrund seiner oberösterreichischen Wurzeln LASK-Anhänger, jetzt gefällt ihm Rapid ganz gut. Die Namen der Spieler sind ihm im Gegensatz zum Enkerl fremd, Sigrid ist absolute Fachfrau, als Andreas Ivanschitz die gelbe Karte gezeigt wird, weiß sie um die verheerenden Folgen. "Er ist gesperrt. So ein Schaß." Der Soziologe: "Mein Enkerl hat schon wieder Schaß gesagt. Aber Schaß geht grad noch." Den Gegner "Drecksau" schimpfen, das verstoße hingegen gegen den "Ehrenkodex". Sigrid würde das nie tun. Was einige der Rapid-Fans vorm Match gemacht haben, lehnte der Soziologe ebenfalls ab. "Die haben an die Stadionmauer gepischt. Verstößt gegen den Ehrenkodex."

Girtler ist fasziniert. Nicht von Rapid. "Hat die Admira so viel Geld, weil die so gut ist?" Als er den Halbsatz, "net schlecht, die Admira" los wird, passiert es: Nach "net" und vor "schlecht", also während eines Girtlerschen Luftholens, köpfelt Roland Linz das einzige Tor. "Faszinierend, i kenn mi doch aus."

"Admira hat ja mehr Fahnen als Leute"

Der Soziologe ist vom Ambiente entzückt. "Lauter Kriegssymbolik. Hört's die Schlachtgesänge?" Von Stammeskämpfen innerhalb der Hooligans schrieb er, wobei er im konkreten Fall feststellen muss, "dass der Stamm der Rapid-Anhänger viel größer ist. Admira hat ja mehr Fahnen als Leute. Faszinierend, die kleine Kapelle. Die blasen Trompete. Ein Kriegsritual. Das Feuer." Zwischenfrage: "Dürfen wir Sie auf ein Bier im Pfandbecher einladen?" Girtler: "Aber nur eines, ich habe den ganzen Tag nix gegessen." Wir: "Wollen Sie eine Burenwurst dazu?" Er: "Danke, ich bin seit 15 Jahren Vegetarier." Wir: "Aber in einer Burenwurst ist eh kaum Fleisch."

Das kollektive Hupfen im Sektor der Rapidler sei, so wieder er, toll. "Die Körper reiben aneinander. Die Südstadt hat Sex." Trotzdem könne man ein Puff nicht mit einem Stadion vergleichen. Admira siegt 1:0. Sigrid sagt ein letztes Mal "Schaß". Opa resümiert. "Fußball ist Zauber."

Der STANDARD-Sport lädt prominente Mitmenschen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport in loser Folge zum Fußballschauen. In die Redaktion oder ins Stadion. (DER STANDARD, Printausgabe, Freitag, 19. März 2004, Christian Hackl)