"Schicksal am Lenkrad"

Foto: Filmarchiv
Wien - Ein jugendlicher Autonarr lässt sich in einer lauen Sommernacht zu einer Spritztour hinreißen. Sein Fahrzeug hat er einem örtlichen Bonzen entwendet. Schnell ist ihm die Gendarmerie auf den Fersen. Er entzieht sich der Festnahme. Es verschlägt ihn aus seinem Heimatdorf nach Wien. Mechaniker möchte er werden. Aber die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist angespannt. Die Gänge auf dem Amt sind voll mit Arbeitssuchenden, und Jugendliche, die keine Lehrstelle finden, drohen beständig in Armut und Delinquenz abzugleiten.

Franzl (Winfried Schatz) hat vermeintlich Glück im Unglück: Die Medien bemächtigen sich seines Falles. Ein Zahnpastafabrikant und seine resolute PR-Chefin erkennen ein Vermarktungspotenzial. Der Bauernbub aus Niederösterreich wird werbewirksam von der Firma engagiert, doch seine Vorgeschichte macht ihn auch hier schnell zum willkommenen Sündenbock für jedwede Unregelmäßigkeit. Mit stoischer Haltung und nahezu wortlos lässt sich der Bursche durch die Machinationen anderer treiben. Erst am Ende hat er, so scheint es, seinen Meister gefunden, der ihm echtes Interesse und eine solide berufliche Zukunft in Aussicht stellt.

Der österreichische Film, der diese eigenartig zeitgemäße Geschichte erzählt, ist nicht neu. Er stammt aus dem Jahr 1954. Schicksal am Lenkrad, inszeniert vom Italiener Aldo Vergano, ist einer von sechzehn Spielfilmen, die in den Jahren 1950 bis 1955 unter der Ägide der sowjetischen Verwaltung in den Studios der Wien-Film am Rosenhügel entstanden. Und er ist auch in diesem Kontext ein Sonderfall.

Wiener Neorealismus

Während Georg Jacoby, Marika Röck und andere (weiter) Unterhaltungsfilme produzieren, sieht man im Film des am Neorealismus geschulten Vergano, im Hintergrund der mitunter kolportageartigen Erzählung, Bilder von Wien, in denen Zerstörungen nachwirken, in denen Industrieruinen, der Naschmarkt oder der Donaukanal als Jugendtreffs dienen und in denen zwischen den Generationen eine schwer zu überbrückende Lücke klafft.

Schicksal am Lenkrad wird im Rahmen der Retrospektive Die Wien-Film am Rosenhügel 1950-1955 gezeigt. Die von Stefan Grissemann kuratierte Schau ist ihrerseits Teil des März-Programms des Filmarchivs Austria, das unter dem Motto Rote Traumfabriken steht. Zu deren Produkten zählt etwa auch Alberto Cavalcantis notorische Adaption von Bertolt Brechts Herr Puntila und sein Knecht Matti (1955). Curt Bois gibt hier eine slapstickartige Variation des dauertrunkenen finnischen Gutsherrn.

Der Autor beklagte die Überführung seines Stoffes in eine "verfeinerte Salonkomödie". Aber - nachzulesen in Anschluß an Morgen - in der Zusammenschau mit den filmischen Zeitgenossen wird hier dennoch ein Umgang mit Klassenverhältnissen sichtbar, der den üblichen launigen Herr-Diener-Konstellationen und Erzählverläufen im heimischen Kino entgegensteht.

Vor diesem sehenswerten Rückblick auf ein rares Kapitel österreichischer Filmgeschichte rückt das Filmarchiv Austria nunmehr neuerlich die Defa in den Blickpunkt. Im Gegensatz zur umfänglichen Retrospektive im Jahr 2001 wird diesmal allerdings speziell das Wirken österreichischer Filmschaffender bei der 1946 von der sowjetischen Militäradministration lizenzierten Deutschen Film Aktiengesellschaft beleuchtet. Immerhin 60 Programme dokumentieren in der von Ralf Schenk und Raimund Fritz erstellten Schau noch bis zum 21. März einen wenig bekannten Kulturtransfer.

Exodus nach Ostberlin

Während Einzelne - die Regisseure Arthur Maria Rabenalt oder Kurt Meisel und andere - bereits in den 40er-Jahren für die Defa arbeiteten, sorgte etwa die Schließung des Wiener Neuen Theaters in der Scala im Jahr 1956 für einen Wechsel wesentlicher Mitglieder des Ensembles - Wolfgang Heinz, Karl Paryla, Rudolf Wessely oder Erika Pelikowsky - nach Ostberlin.

Ihr vielfältiger Beitrag zum ostdeutschen Nachkriegskino, das nicht zuletzt im Zeichen engagierter Geschichtsaufarbeitungen stand, wird im Metro-Kino derzeit anschaulich gemacht. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.3.2004)