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Der Franco-Kanadier Denys Arcan: "Bunuel ist mein Vorbild: Der diskrete Charme der Bourgeoisie."

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Verlorene Utopien und irdischen Tröstungen eines Todkranken: Der alte Genießer Rémy (Rémy Girard) liegt in einem Krankenhaus, ohne Illusionen.

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"Die Invasion der Barbaren" erzählt von verlorenen Utopien und irdischen Tröstungen eines Todkranken. Der Oscar-prämierte kanadische Film eröffnete das frankofone Filmfestival in Wien. Bert Rebhandl unterhielt sich mit dem Regisseur Denys Arcand.


Wien - Lebe so, als könnte die nächste Trüffeleierspeise die letzte sein: An dieses Motto hält sich das Personal von Denys Arcands neuem Film "Die Invasion der Barbaren". Der alte Genießer Rémy (Rémy Girard) liegt in einem Krankenhaus, ohne Illusionen. An seinem Bett versammelt sich eine illustre Runde, die zum Teil schon aus Arcands erfolgreichstem Film Der Untergang des amerikanischen Imperiums (1986) bekannt ist.

Damals ging es um eine Geschichte des privaten Lebens: Eine Gruppe Akademiker samt Frauen traf sich zum Abendessen, bei dem das Mahl in erster Linie ein Aphrodisiakum für (verbalen) Gruppensex war. Im neuen Film geht es am Rande stärker um die Gesellschaft: Die Invasion der Barbaren bezieht sich auf die Aushöhlung des Sozialstaats durch Korruption und Drogen. Das Zentrum der Gesellschaft ist schwach. Der Frankokanadier Denys Arcand spricht genau aus dieser Position. Er ist der prototypische liberale Filmemacher.

STANDARD: Ungefähr zwanzig Jahre liegen zwischen "Der Untergang des amerikanischen Imperiums" und "Die Invasion der Barbaren". Denen geht es jetzt besser, aber die Ungewissheiten sind größer. Wie haben Sie selbst sich während dieser Zeit verändert?

Denys Arcand: Der eine Film, das bin ich mit 40, der andere: ich mit 60. Ich bin pessimistischer geworden, sehe die Dinge aber auch klarer.

Kanada ist keine Insel der Seligen. Die Polizei lässt die Drogenhändler gewähren, die Krankenhäuser sind überfüllt. Wir sind in einem unglaublichen Chaos. Uns fehlt eine Ideologie, ein Rezept, um die Probleme zu lösen. Als wir die Medizin vollständig verstaatlicht haben, war das zuerst großartig. Aber wenn die Regierung ein ganzes Feld übernimmt, entsteht eine Bürokratie. Früher wurden nur reiche Leute gut behandelt, jetzt wird niemand mehr gut behandelt.

STANDARD: So argumentieren auch die Neoliberalen. Sie erzählen aus der Perspektive von gut situierten, gebildeten Menschen, die notfalls mit ein wenig Geld nachhelfen können, wenn etwas nicht klappt.

Arcand: Ich schreibe über Menschen, die ich kenne. Ich bin sicher ein Bourgeois, ich hänge mit Universitätsprofessoren herum, mein Bruder ist Anthropologe - das ist mein Milieu. Es ist besser, davon zu erzählen, statt aus ideologischen Gründen über Menschen einer anderen Klasse zu handeln. Als ich jünger war, habe ich Dokumentarfilme über die Arbeiter gemacht, das hat aber keine interessanten Ergebnisse gebracht. Proust wurde auch anfangs kritisiert wegen seiner bürgerlichen Figuren, inzwischen ist seine Kunst als universal anerkannt. Der Schuster bleibt eben bei seinen Leisten.

STANDARD: Der kranke Akademiker ist ein Epikuräer reinster Schule. Gibt es autobiografische Züge?

Arcand: Das ist mein Leben! Nun, nicht gänzlich. Er hat niemals ein Buch geschrieben, und er weiß, dass er das hätte tun sollen. Ich mache Filme. Und ich konnte mir damit einen gewissen Lebensstil leisten. Aber zuerst musste ich das Kino finden. Ich war sehr arm bis zum Alter von 45.

STANDARD: Eine unübersehbare Nebengeschichte in "Die Invasion der Barbaren" betrifft den Katholizismus, eine Glaubensrichtung, die zumindest in Kanada ihre beste Zeit jedoch hinter sich hat.

Arcand: Die Kirche muss ihre Reichtümer auf den Markt werfen und begreift, dass sie gar nicht so viel wert sind. Ich bin ein Agnostiker. Meine Eltern aber waren nahezu Mystiker. Die Mutter war eine Karmeliternovizin, bevor sie meinen Vater geheiratet hat. Der Glaube hat ihr Leben bestimmt, sie waren dadurch in Sicherheit, hatte einen friedlichen Tod. Danach habe ich mein ganzes Leben gesucht.

STANDARD: Es helfen aber nur mehr die irdischen Tröstungen: Freunde, Essen, Natur?

Arcand: Auch das ist Teil meines Lebens. Es ist auch typisch kanadisch. Ich besitze ein kleines Haus an einem See, ungefähr 45 Minuten von Montreal. Nicht das aus dem Film, aber ebenso schön.

STANDARD: Bis der Tod ins Haus steht. Über den man am besten selbst verfügen sollte. Möchten Sie auch so sterben?

Arcand: Ja. In Wirklichkeit werde ich allein sein, und es wird schrecklich sein. Aber ich dachte über den perfekten Tod nach und habe ein Szenario entwickelt, das hohen Ansprüchen genügen müsste.

STANDARD: Sie haben ein Talent für Filmtitel, die mit Begriffen der Zeit im Einklang stehen. "Der Untergang des amerikanischen Imperiums" ist eine Fantasie vieler Globalisierungskritiker, "Die Invasion der Barbaren" prägt wiederum das geopolitische Verständnis der Falken.

Arcand: Die USA sind das Römische Reich, das ist meine alte Rede. Die Parallelen sind unglaublich. Und nachdem die Völkerwanderung längst begonnen hat, handelt es sich sicher nicht um die klassische Periode des Reichs, sondern um eine späte Phase.

STANDARD: Aus der Sie einen Stimmungsbericht liefern, in dem das ironische Subjekt seinen letzten, möglichen Sieg davonträgt. Was bleibt dann noch? Buße und Umkehr?

Arcand: Ich mag Filme, deren Stil nicht auf sich aufmerksam macht. Bunuel ist mein Vorbild: Der diskrete Charme der Bourgeoisie. Der bleibt. (DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.3.2004)