Madrid/Wien - "Bei uns, Herr Bundeskanzler, herrscht kein Krawattenzwang." - "Ich hab's bemerkt, ich befrei' mich eh schon von dem Ding." Wolfgang Schüssel hängt noch sein Sakko über einen Stuhl, dann nimmt er Platz, erste Reihe fußfrei, nicht von wegen Bundeskanzler, sondern weil's in der Sportredaktion halt keine zweite Reihe gibt. Wir bedauern das Fehlen von Ronaldo und Roberto Carlos bei Real, wir hoffen dennoch auf einen Fußball-Leckerbissen. Nur der Kanzler ist skeptisch: "Es geht um zu viel", sagt er, "Real muss ja kaum was zeigen."

"Grüß Gott und Auf Wiedersehen"

Anpfiff. Wir haben eingekauft, in diversen Größen. Darf's also ein großes oder ein kleines Bier sein? "Ein kleines, bitte." - "Das ist ein Drehverschluss." - "Ich weiß, ich weiß." Zinedine Zidane zieht seine Show ab, doch er bleibt allein auf weiter Flur. Wolfgang Schüssel sieht ein "Geplänkel im Mittelfeld", sieht Bayerns Chancen wachsen. "Real müsste mehr machen", sagt er nach zwanzig Minuten, "sonst kann's schnell vorbei sein. Ein Bayern-Schuss, Grüß Gott und Auf Wiedersehen." Den Schuss gibt aber Zidane ab, Real führt 1:0 (32.).

"Das wär's gewesen"

Der Kanzler fragt, wem die Sympathien gelten, einmal kriegt er "Real", einmal kriegt er "den Spaniern", einmal kriegt er "sicher nicht den Bayern" zu hören. "Und zu wem halten Sie, Herr Bundeskanzler?" Er hält sich bedeckt, um sich wenig später dann doch recht weit aus dem Fenster zu lehnen. "Um Gottes willen", entfährt es ihm, als Bayerns Zé Roberto in der Nachspielzeit der ersten Hälfte abzieht, und dann, als Reals Salgado auf der Linie geklärt hat, klingt Schüssel wirklich fast enttäuscht: "Das wär's gewesen."

"Ich war Präsident, Kassier,... Zeugwart"

Pause. Der Kanzler berichtet, dass er nach wie vor regelmäßig kickt, meistens in der Halle, meistens Angriff. "Das war nicht immer so, ich hab' früher alles gespielt, auch Verteidiger. Aber jetzt, wo's mit der Kondition nimmer ganz so gut bestellt ist, bleib' ich halt lieber vorn." Einen eigenen Verein hat er seinerzeit, bei den Schotten, gegründet und in die Wiener Unterliga geführt. "Ich war Präsident, Kassier, Trainer, Spieler und Zeugwart in Personalunion."

Quasi live

Er geht nicht nur zum Ländermatch und Interview-Geben ins Happel-Stadion. Er nimmt sich, wenn er länger zu tun hat, auch Matches auf und schaut sie sich später in der Nacht an - oder auch erst viel später, am Wochenende. "In der Nacht geht's ja noch, da tu' ich so, als wäre es live. Aber Tage später, wenn ich das Ergebnis schon kenne, ist's natürlich halb spannend. Da muss es schon ein ganz besonderes Spiel gewesen sein."

Nachschub

Real gegen Bayern ist ein ganz gewöhnliches Spiel. "Kann ich noch ein Bier haben?", fragt der Kanzler, jetzt fällt uns erstens auf, dass die eine Flasche leer ist und dass wir zweitens zu fragen vergessen haben, ob er ein Glas dazu haben will. Er hat aus der Flasche getrunken, jetzt fragen wir auch nicht mehr. Real führt 1:0, der Kanzler sagt: "Egal, es hat sich kaum was geändert. Die Bayern müssen ein Tor schießen." Schweinsteiger kommt für Hargreaves, Schweinsteiger fällt Schüssel auf. "Gibt's den schon länger?" Das Match wird ruppig, Reals Salgado foult Zé Roberto (75.). "Also wenn das keine Gelbe ist", sagt Schüssel, doch der Schiedsrichter hört nicht auf ihn. Schüssel: "So ist das halt heutzutage. Da grätschen sogar Traumtänzer wie Beckham und Figo rein."

Resümee

Das Match plätschert dahin, der Kanzler gähnt, bleibt aber bis zum Ende. Der Weg von- einem Langweiler zu einem Klassiker ist kürzer als jener vom Bundeskanzleramt zum Standard. "Ein Bayern-Tor", sagt Schüssel noch einmal, "Grüß Gott und auf Wiedersehen." Ob er sich das Haus ansehen möchte, will jemand wissen. "Es ist schon so spät", gibt Schüssel zurück, "vielleicht beim nächsten Mal." Und zieht lieber sein Resümee: "Was Zidane zeigt, ist hohe Fußballkunst. Ansonsten - Rasenschach auf hohem Niveau." Der Schlusspfiff. Wolfgang Schüssel verabschiedet sich, zieht sein Sakko wieder an. Die Krawatte steckt er ein.

Der Standard -Sport lädt prominente Mitmenschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport in loser Folge zum Fußballschauen und Plaudern in die Redaktion oder ins Stadion. (DER STANDARD, Printausgabe, Freitag, 12. März 2004)